Das Alter hat gewisse Vorteile. Ab dem sogenannten Ruhestand hat
Mann/Frau mehr Freiheiten und kann sagen, was er/sie denkt, ohne gleich
der eigenen Karriere oder der einer anderen Person zu schaden. Aber wie
das immer so ist…wo Vorteile sind, gibt es auch oft Herausforderungen. Der Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs (VEÖ) beschäftigte sich Anfang Oktober 2015 auf einer zweitägigen Veranstaltung mit diesen Herausforderungen, die im Alter entstehen.
Dass das Thema nicht neu ist und die demographischen Zahlen ebenso wenig, ist keine Überraschung. Und dennoch nehmen Jüngere (bis etwa 65 Jahre) oft nur strahlende Silverager in der Werbung für Nahrungsergänzungsmittel wahr.
Die Fakten: Kein Bevölkerungsanteil wächst so rapide wie jener der Hochbetagten (85+). Die Lebenserwartung ist bei uns in nur 120 Jahren – also in nur fünf Generationen – um 44 Jahre gestiegen. „Jedes zweite Baby kann heute mit einem Lebensalter von mehr als 100 Jahren rechnen“, so Dr. Erika Lasser-Ginstl, Ernährungswissenschafterin aus Krems in
Österreich. Weltweit leben etwa 343.000 Menschen, die bereits den hundertsten Geburtstag überschritten haben. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird es voraussichtlich mehr als eine Million Hundertjährige geben. Natürlich gibt es auch mehrere Möglichkeiten, die Lebenserwartung zu verringern: „rauchen, keine Bewegung, schlecht essen“, zählt Lasser-Ginstl nicht ganz ernst gemeint auf.
Die Frage ist also nicht, ob die Gesellschaft insgesamt altert, sondern wie. Durch altersbedingte physiologische Prozesse können zum Beispiel Mangelerscheinungen auftreten. Denn es passiert (schleichend) im Alter eine Menge: Nährstoffe werden vom Körper schlechter aufgenommen und der Energiebedarf sinkt. Gleichzeitig bleibt aber der Nährstoffbedarf unverändert, so dass Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte das Mittel
der Wahl sind. Das wiederum bedeutet aber eventuell einen Abschied von jahrzehntelangen Essgewohnheiten – und das ist nicht einfach. Zudem kann je nach gesundheitlichem Status der Energiebedarf schwanken. Demente Personen zum Beispiel sind meist hyperaktiv und brauchen entsprechend mehr Energie.
Zu allem Überfluss taugt auch der Body Mass Index (BMI) als Abschätzung eines Gesundheitsrisikos im Alter nicht mehr. „Die fettfreie Masse sinkt mit zunehmendem Alter, die Körpergröße nimmt ab und somit stimmen die Korrelationen nicht mehr“, so Dr. Karin Schindler von der Universitätsklinik Wien. „Die Fixierung auf den BMI kann dazu führen,
dass wesentliche Faktoren im Hinblick auf ein ernährungsabhängiges
Gesundheitsrisiko im Alter nicht wahrgenommen werden.“ Schindler empfiehlt daher eher das Körpergewicht im zeitlichen Verlauf zu beobachten (schnelle Abnahme ist ein Hinweis auf einen Mangel) und die Wahrnehmung auf das Essverhalten, den Appetit und die veränderte Mobilität zu richten.
Ein weiterer Schwerpunkt der physiologischen Veränderungen im Alter ist
das Fortschreiten der Atrophie, also der Gewebeschwund. Muskelkraft und
Muskelmasse nehmen ab. Damit beschäftigt sich die Forschungsplattform
„Active Ageing“, die Professor Karl-Heinz Wagner von der Universität Wien mit Partnern gegründet hat. „Durch den Alterungsprozess und passiven Lebensstil verliert der Mensch bis zum 80. Lebensjahr 20 bis 40 Prozent Muskelmasse. Ältere Menschen verlieren dazu noch drei bis vier Prozent Kraft pro Jahr“, so Wagner. Durch zahlreiche Studien ist belegt,
dass vor allem durch den Schwund der Muskelmasse die Mobilität sinkt und damit ein weiterer Verlust von Muskelmasse und Kraft einhergeht.
Ein „Teufelskreislauf“, der letztlich die Mortalität (Sterberate) erhöht. Das Entscheidende ist aber laut Wagner, dass „die Kraft bis ins hohe Alter trainierbar ist.“ So zeigen erste Ergebnisse einer Studie der Forschungsplattform, dass sowohl angepasstes Krafttraining als auch kognitives Training (Gedächtnis und Feinmotorik) zu erheblichen Verbesserungen von Kraft und Ausdauer führen.
Eine Verbesserung der Lebensqualität im Alter hängt also sehr von der individuellen Betrachtung des Einzelnen ab UND entsprechenden Angeboten in Privathaushalten und Einrichtungen. Die Herausforderungen, die in den nächsten Jahrzehnten auf die Gesellschaft zukommen, sind also zu meistern, wenn man rechtzeitig die Weichen in die richtige Richtung stellt.
Harald Seitz, (aid)