Spektakuläre Studien zur endovaskulären Therapie: komplexe Schlaganfalltherapie mit großem Nutzen
Berlin
– Rund 10 000 Menschen mit einem schweren Schlaganfall könnten jährlich
in Deutschland vor dauerhaften Behinderungen und Tod bewahrt werden,
wenn Neuroradiologen das Blutgerinnsel, das eine Hirnarterie blockiert,
frühzeitig mit einem Spezialkatheter entfernen können. Dies zeigen die
Ergebnisse von gleich drei neuen Studien, die vergangene Woche auf der
International Stroke Conference in Nashville, USA, vorgestellt wurden.
Die Studien sind eine wichtige Bestätigung für die Neurozentren in
Deutschland, die diese als noch experimentell eingestufte Therapie
bereits durchführen.
Nach
Einschätzung der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), der
Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen
Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) ist es nun erforderlich, die
bestehenden Versorgungsstrukturen der akuten Schlaganfallbehandlung
hierzulande zu optimieren. Nur so kann sichergestellt werden,
dass diese endovaskuläre Therapie mit einem Katheter bestimmten
Patienten mit schweren akuten Schlaganfällen zu Gute kommt. Da nur
Patienten mit einem großen Blutgerinnsel in den Hirnarterien möglichst
frühzeitig nach Symptombeginn in Frage kommen, wird die aufwändige
Therapie nur in spezialisierten Neurozentren mit Stroke Unit,
Neuroradiologie und neurologischer Intensivstation erfolgen können.
Acht
von zehn Schlaganfällen sind die Folge einer plötzlichen
Durchblutungsstörung im Gehirn. Wenn ein sehr großes Blutgerinnsel die
großen Hirnarterien verstopft, dann reicht die Standardtherapie, die
systemische Thrombolyse, meistens nicht aus, um das verantwortliche
Blutgerinnsel aufzulösen. „Seit etwa acht Jahren gibt es Katheter, mit
denen Neuroradiologen versuchen, das Blutgerinnsel mechanisch zu
entfernen“, erklärt Professor Dr. med. Joachim Röther, Chefarzt an der
Asklepios Klinik Altona. In vielen Fällen seien immer wieder
spektakuläre Erfolge erzielt worden, doch existierten keine
Studienergebnisse aus randomisierten Studien, dem Goldstandard in der
Medizin. Dies änderte sich im vergangenen Oktober mit der Vorstellung
der MR CLEAN-Studie aus Holland auf der World Stroke Conference in
Istanbul, die zum ersten Mal die Überlegenheit der interventionellen
Therapie plus systemischer Lyse gegenüber der Lyse allein zeigte.
Professor Röther: „Dort wurden fast ausnahmslos moderne Katheter
eingesetzt, mit denen das Blutgerinnsel mit einem körbchenartigen
Drahtgeflecht (Stent) aus der Arterie gezogen wird.“
Komplexe Schlaganfalltherapie verbessert Behandlungsergebnis deutlich
Diese
sogenannten Stent-Retriever wurden auch in drei Studien eingesetzt,
deren Ergebnisse jetzt in den USA vorgestellt wurden. In allen drei
Studien (EXTEND-IA, ESCAPE und SWIFT-PRIME) erhielten die Patienten die
Standardtherapie, eine Thrombolyse, und bei der Hälfte der Patienten kam
zusätzlich der Stent-Retriever zum Einsatz. In allen drei Studien
wurden große Erfolge erzielt. Die Chance der Patienten auf ein günstiges
Behandlungsergebnis wurde um 20 bis 30 Prozent gesteigert, ein
spektakuläres Ergebnis, so Professor Röther: „Die Behandlung konnte
nicht alle Behinderungen vermeiden, doch drei von fünf Patienten
gewannen dank der Behandlung ihre funktionelle Unabhängigkeit zurück“,
erläutert der Neurologe: „Sie waren 90 Tage nach dem Schlaganfall im
Alltagsleben nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen.“
Neurovaskuläre Netzwerke bieten optimale Versorgungsstruktur
Dies
ist ein erstaunlicher Erfolg, der jedoch nur unter bestimmten
Bedingungen zu erreichen ist. „Die Studien zeigen, dass diese Therapie
in einem Zeitfenster von sechs Stunden nach Beginn der
Schlaganfallsymptome – selten auch noch danach – sinnvoll ist“, erklärt
Professor Hans-Christoph Diener, Direktor der Klinik für Neurologie am
Uniklinikum Essen und Europäischer Leiter der SWIFT-PRIME Studie.
Voraussetzung für die rasche Therapie ist für den Pressesprecher der
Deutschen Gesellschaft für Neurologie eine sichere Ortung des
Blutgerinnsels in den Hirnarterien mittels CT-Angiographie. Zum anderen
dürfe das durch den Schlaganfall bereits geschädigte Hirnareal nicht zu
groß sein. Der wichtigste Faktor bleibe aber ein möglichst frühzeitiger
Beginn. „Die besten Ergebnisse sind zu erwarten, wenn so früh wie
möglich mit der endovaskulären Therapie begonnen wird“, sagt Professor
Diener: „In den nächsten Monaten muss die Zuweisung aller für die
Katheterbehandlung in Frage kommenden Patienten in die Neurozentren
verbessert werden. Die von der DSG bereits initiierten Neurovaskulären
Netzwerke, der Zusammenschluss mehrerer Kliniken mit einem Neurozentrum,
bietet die optimale Versorgungsstruktur.“
Lysetherapie bleibt Standard – aber bei Bedarf danach der Einsatz des Stent-Retrievers
Viereinhalb
Stunden ist das derzeitige Zeitfenster für die Thrombolyse. Professor
Christoph Groden, Direktor der Abteilung für Neuroradiologie der
Universitätsmedizin Mannheim und Präsident der Deutschen Gesellschaft
für Neuroradiologie (DGNR), weist daraufhin, dass die Lysetherapie
weiterhin der Standard für alle Schlaganfallpatienten im
4,5-Stunden-Zeitfenster ist. Bestätigt dann die Computer- oder
Kernspin-Angiographie ein großes Blutgerinnsel, so sollte künftig die
Behandlung mit einem Stent-Retriever angeschlossen werden. „Die
Behandlung kommt für etwa fünf Prozent der Schlaganfallpatienten
infrage“, so Professor Groden. Das höre sich zunächst nicht sehr viel
an, man müsse aber bedenken, dass es sich um sehr schwer betroffene
Patienten handelt, die teils noch auf dem Angiographie-Tisch wieder
beginnen zu reden und Arme und Beine zu bewegen. „Da die Behandlung viel
Erfahrung erfordere, gehöre diese Therapie in die Hand von
Spezialisten, also den Neuroradiologen.“
Literatur
M.
Goyal, A.M. Demchuk, B.K. Menon et al.: Randomized Assessment of Rapid
Endovascular Treatment of Ischemic Stroke, The New England Journal of
Medicine, published on February 11, 2015, at NEJM.org.
B.C.V.
Campbell, P.J. Mitchell, T.J. Kleinig et al.: Endovascular Therapy for
Ischemic Stroke with Perfusion-Imaging Selection, The New England
Journal of Medicine, published on February 11,
2015, at NEJM.org. Artikel
Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
Prof. Dr. med. Joachim Röther