Neuentdeckung am Meeresgrund

Bremerhaven, 19. Juni 2014. Seit heute
erscheinen auf den Seekarten des Südatlantiks und des Weddellmeers die
Namen zweier zuvor unbekannter Unterwasserberge: „Madiba Seamount“ und
„Nachtigaller Shoal“. Bei der Namenswahl folgte das Sub-Committee on
Undersea Feature Names (SCUFN) auf seiner diesjährigen Tagung in Monaco
den Vorschlägen von zwei Wissenschaftlern des Alfred-Wegener-Instituts,
Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Diese hatten die Berge
vergangenes Jahr auf Polarstern-Expeditionen in die Antarktis entdeckt.
Mit der Benennung ist nun ein weiteres Stück des Meeresbodens offiziell
erschlossen worden.

„Bis heute sind weniger als zehn Prozent der
Unterwasserlandschaften unserer Meere erkundet und mit einem Namen
versehen worden. Wenn man abseits der normalen Seerouten fährt, kann man
deshalb durchaus noch Neuentdeckungen machen“, sagt Jan Erik Arndt vom
Alfred-Wegener-Institut.

Während einer Expedition in den
südlichen Indischen Ozean hatte der Bathymetriker vergangenen November
das Glück, einen bisher unbekannten Unterwasserberg zu entdecken. Auf
seinem Weg von Kapstadt in das Südpolarmeer passierte der
AWI-Forschungseisbrecher Polarstern die Spitze eines Unterwasserberges.
„Hätte das Fächerecholot nur den Rand des Berges gestreift, wäre er
unter Umständen unentdeckt geblieben“, erzählt Jan Erik Arndt. Dabei
hebt sich der Gipfel 1920 Meter über den Meeresboden und ist in seiner
Höhe somit vergleichbar mit Bergen der Alpen – allerdings liegt sein
höchster Punkt auch knapp 3500 Meter unter dem Meeresspiegel.

Um
einen geeigneten Namen für den Unterwasserberg zu finden, stellte Jan
Erik Arndt eine Box auf der Polarstern auf. Jeder Expeditionsteilnehmer
konnte so anonym seinen Namensvorschlag einreichen. „Nelson Mandela ist
in dem Zeitraum unserer Expedition verstorben und als sein Clan- und
Spitzname, Madiba, als Vorschlag einging, waren wir uns schnell einig,
ihn mit dieser Neuentdeckung zu ehren. Schließlich startete und endete
unsere Expedition auch in Südafrika“, erklärt der
Bathymetriker.

Bereits im Februar des vergangenen Jahres hatte
Boris Dorschel, Leiter der Bathymetrie am Alfred-Wegener-Institut, auf
einer Polarstern-Expedition in das antarktische Weddellmeer einen bis
dahin unbekannten Unterwasserberg erkundet, der bis dicht unter die
Meeresoberfläche reichte. „An seiner flachsten Stelle lag der Berg nur
16 Meter unter dem Meeresspiegel und damit knapp fünf Meter unter dem
Kiel der Polarstern. Wäre die Erhebung in einer Seekarte eingezeichnet
gewesen, hätten wir diese Untiefe gemieden“, sagt Boris Dorschel. Umso
wichtiger war es, die Neuentdeckung zu kartieren und zu
benennen.

„Auf Grund der Eisbedeckung mussten wir während der
Erkundung immer wieder den Kurs ändern. Dadurch ist eine Aufzeichnung
entstanden, die mich an die Romanfigur Prof. Dr. Abdul Nachtigaller aus
den 13½ Leben des Käpt’n Blaubär erinnert hat“, erzählt Boris Dorschel.
Sehr schnell setzte sich deshalb der Arbeitstitel „Nachtigaller Hill“
durch. „Der Name erschien uns als sehr passend, da Prof. Dr.
Nachtigaller sein Leben der Erforschung ungeklärter Mysterien widmet und
dafür in die entlegensten Gebiete auf unserer Erde reist – vor allem an
dunkle und lebensfeindliche Orte“, erklärte Boris Dorschel mit einem
Augenzwinkern und reichte seinen Namensvorschlag ein.

Davor
hatte er „Käpt’n Blaubär“-Autor Walter Moers allerdings kontaktiert.
„Ich wollte sichergehen, dass er nichts dagegen hat, dass wir einen
Seeberg in der Antarktis nach einer seiner Romanfiguren benennen
wollen“, sagt der Bathymetriker. Zunächst hielt der Autor die Anfrage
für einen Scherz. Von der Ernsthaftigkeit des Vorschlags überzeugt,
gefiel dem Autor die Idee dann aber immer besser und er stimmte ihr zu.
„Ich hatte ja keine Ahnung, dass heutzutage noch ganze Berge unentdeckt
sein können. Dass die Entdeckung im Dunkel antarktischer Gewässer
stattgefunden hat, dürfte Nachtigaller, den zamonischen Pionier der
Dunkelheitsforschung, besonders freuen“, sagt Walter Moers.

Beide
Namensvorschläge, „Madiba Seamount“ und „Nachtigaller Hill“, legten die
AWI-Wissenschaftler dem internationalen SCUFN-Komitee (Sub-Committee on
Undersea Feature Names) zur Abstimmung vor. Das Komitee tagt einmal
jährlich, um neuentdeckte geografische Strukturen am Meeresboden
offiziell zu benennen. Vom 16. bis zum 20. Juni diskutieren die
Mitglieder dieses Jahr in Monaco über 102 vorgeschlagene Namen.
Besonderes Augenmerk legen die Mitglieder darauf, ob die
Namensvorschläge angebracht sind und die Unterwasserstrukturen
tatsächlich noch unbekannt und unbenannt sind. Auf diese Weise reduziert
SCUFN möglichen Wildwuchs bei der Benennung von Strukturen am
Meeresboden.

„In der Vergangenheit ist es häufiger vorgekommen,
dass zwei Unterwasserberge denselben Namen tragen, oder dass ein
Tiefseegraben zwei verschiedene Bezeichnungen hat. Vor allem in
wissenschaftlichen Publikationen kann es verwirren, wenn zwei Studien
über dieselbe Struktur sprechen, dies aber aufgrund der
unterschiedlichen Benennungen nicht sofort klar wird“, erklärt Prof. Dr.
Hans Werner Schenke, Geowissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut und
SCUFN-Vorsitzender.

Schnell entschied sich das Komitee heute
Vormittag für den Namensvorschlag Madiba Seamount und begrüßte dabei vor
allem, dass mit der Wahl des Clannamen nicht nur Nelson Mandela selbst,
sondern auch der Stamm geehrt wird. Für Diskussionen dagegen sorgte die
terminologische Einordnung des Nachtigaller Hill als „Hill“. „Da dieser
Unterwasserberg dicht unter der Meeresoberfläche liegt, haben wir uns
entschieden, ihn als ‚Shoal’ einzuordnen. Also als eine Untiefe, die
eine Gefahr für den Schiffsverkehr darstellt“, erklärt Prof. Dr. Hans
Werner Schenke.

Damit reihen sich beide Unterwasserberge,
„Madiba Seamount“ und „Nachtigaller Shoal“, in eine Liste von
geografischen Bezeichnungen ein, die Wissenschaftler des
Alfred-Wegener-Instituts auf ihren Forschungsreisen bereits geprägt
haben, wie das „Polarstern-Plateau“ und den
„Alfred-Wegener-Canyon“.

Glossar:

Bathymetrie: In
der Bathymetrie vermessen Wissenschaftler die topografische Gestalt des
Meeresbodens. Mit der Hilfe ihrer gewonnen Daten können beispielsweise
Tiefenprofile für Seekarten erstellt werden.

Seamount: Als
„Seamount“ bezeichnet man eine eindeutige Erhebung, die sich mehr als
1000 Meter von dem umliegenden Relief abhebt. Dabei sollte sie in alle
Richtungen ungefähr dieselben Maße und Dimensionen haben.

Hill:
Als „Hill“ bezeichnet man eine eindeutige Erhebung, die sich weniger als
1000 Meter von dem umliegenden Relief abhebt. Dabei fällt die Form in
der Regel unregelmäßig aus.

Shoal: „Shoal“ bedeutet auf Englisch
eine Untiefe. Spricht man bei einem Unterwasserberg von einem „Shoal“,
dann bezeichnet man damit eine oberflächennahe Erhebung, die eine Gefahr
für den Schiffsverkehr darstellen kann.