(Uni Kiel) – Einem Forschungsteam mit Beteiligung des Exzellenzclusters PMI ist es gelungen, krankheitsverursachende T-Zellen bei Autoimmunerkrankungen aus dem Blut zu isolieren und zu analysieren.
Bei Autoimmunerkrankungen attackiert das Immunsystem fälschlicherweise körpereigene Strukturen. Einem Forschungsteam aus Kiel, Lübeck und Berlin ist es nun mit einer von ihnen entwickelten Methode gelungen, bestimmte krankmachende Immunzellen genauer zu analysieren. Dabei stellten sie fest, dass diese Zellen teilweise jahrelang in einen ruhenden Zustand wechseln können und dadurch für die bisherigen Therapieansätze unerreichbar werden. Wechseln die Zellen dann wieder in einen aktiven Zustand, bringen sie erneut weitere Immunzellen dazu die körpereigenen Strukturen anzugreifen und entfachen so die Erkrankung auf Neue. Die Ergebnisse hat das interdisziplinäre Forschungsteam unter Beteiligung zahlreicher Mitglieder des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) vor kurzem im renommierten Fachmagazin „Immunity“ veröffentlicht.
Überraschend: Autoreaktive Immunzellen in ruhendem Zustand
Die Forschenden haben Blutproben von Patientinnen und Patienten untersucht, die eine von drei Autoimmunerkrankungen hatten, bei denen bekannt ist, gegen welche Strukturen sich das Immunsystem richtet. Mithilfe einer von ihnen entwickelten Methode (Antigen-reactive T cell enrichment, ARTE, s.u.) konnten sie aus der großen Menge verschiedener Immunzellen im Blut gezielt die seltenen autoreaktiven Immunzellen anreichern und analysieren. Das sind die Zellen, die fälschlicherweise auf körpereigene Strukturen reagieren, Entzündungen in Gang bringen und andere Immunzellen dazu veranlassen die körpereigenen Strukturen anzugreifen.
„Bisher wurde angenommen, dass diese Zellen bei Autoimmunerkrankungen chronisch aktiviert sind und so die Entzündung antreiben“, erklärt die Erstautorin Dr. Carina Saggau vom Institut für Immunologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel. „Doch wir konnten nun zeigen, dass überraschenderweise ein Teil von ihnen in einen ruhenden Zustand ist, der in der Wissenschaft als „exhausted“, also erschöpft, bezeichnet wird, und in diesem Zustand teilweise jahrelang im Blut zirkuliert.“ Dieser ruhende Zustand ist bisher aus der Tumorforschung bekannt: In Tumoren befinden sich die Immunzellen, die eigentlich den Tumor bekämpfen müssten, in so einem Zustand und lassen den Tumor daher ungehindert wachsen.
„Bei den untersuchten Autoimmunerkrankungen vermuten wir, dass die chronische Aktivierung durch die körpereigene Struktur nach einiger Zeit zu einer Art „Notabschaltung“ führt. Der Körper braucht einen Mechanismus, um solche Zellen abzuschalten, die dauerhaft aktiviert werden“, sagt Professor Alexander Scheffold, Direktor des Instituts für Immunologie und Mitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ PMI. Der Immunologe hat die interdisziplinäre Forschungsarbeit gemeinsam mit dem Neuroimmunologen PD Frank Leypoldt vom Institut für klinische Chemie am UKSH, Campus Kiel, und Professor Friedemann Paul vom Experimental and Clinical Research Center der Charité, Berlin, geleitet.
Reaktivierung der ruhenden Zellen führt zu neuem Krankheitsschub
Der ruhende Zustand führt bei den Autoimmunerkrankungen jedoch auch dazu, dass diese Zellen den gängigen Therapien entgehen, die darauf abzielen das überreaktive Immunsystem zu unterdrücken. Das heißt: Häufig schlägt die Therapie an und unterdrückt die Symptome der Autoimmunreaktion, aber einige der krankmachenden T-Zellen überleben in dem ruhenden Zustand. Werden einige der ruhenden Zellen reaktiviert, vermutlich durch Infektionen oder Umweltfaktoren, können sie den gesamten Krankheitsprozess wieder anschalten. Die Betroffenen erleben einen neuen Krankheitsschub.
„Diese Beobachtung erklärt, warum derzeitige Therapien keinen dauerhaften Schutz vor Rückfällen bieten“, erklärt PD Frank Leypoldt, ebenfalls Mitglied im Exzellenzcluster PMI. „Gleichzeitig eröffnen sie neue Ansatzpunkte für gezieltere Therapien. So könnte man versuchen, mit speziell auf die ruhenden Zellen gerichteten Therapien, diese selektiv anzugreifen und so die Krankheit effektiver, nachhaltiger und präziser zu behandeln. Alternativ könnte man, basierend auf bestehenden Ansätzen aus der Tumormedizin, die Zellen reaktivieren, um sie dann besser therapeutisch zu erreichen,“ so Leypoldt weiter.
Außerdem seien die Beobachtungen wichtig für ein besseres Verständnis der zugrundliegenden Krankheitsmechanismen, betont Scheffold. „Wir haben die Zusammenhänge nun an drei Modellerkrankungen erstmals gezeigt. Als nächstes möchten wir untersuchen, bei welchen anderen Entzündungserkrankungen wir diesen Zustand noch finden, um besser verstehen zu können, was den verschiedenen Erkrankungen jeweils zu Grunde liegt. Nur so ist eine spezifische Therapie der jeweiligen Krankheitsursachen im Sinne einer echten Präzisionsmedizin möglich“, erklärt Scheffold.
Über die ARTE-Methode:
In einer Blutprobe reagieren nur etwa eine aus hunderttausend T-Zellen gegen das spezifische Autoantigen, also das körpereigene Molekül, gegen das sich das Immunsystem bei der Autoimmunerkrankung richtet. Um diese seltenen Zellen überhaupt untersuchen zu können, haben Prof. Petra Bacher und Prof. Alexander Scheffold vom Exzellenzcluster PMI das sogenannte „Antigen-reactive T cell enrichment“ (ARTE, Anreicherung antigenreaktiver T-Zellen) entwickelt. Das Verfahren basiert darauf, Blutzellen im Reagenzglas kurz mit dem Antigen zu konfrontieren. Antigen-spezifische T-Zellen werden so aktiviert und können anhand von „Aktivierungsmarkern“ mit Magnetpartikeln markiert werden. Über magnetische Trennsäulen, werden diese seltenen T-Zellen dann aus einer größeren Blutmenge herausfiltriert und analysiert.