Wie steuern Signale aus dem Darm Erkrankungen des Gehirns?
(Uni Kiel) – Die Else Kröner-Fresenius-Stiftung verlängert Forschungsförderung zur Darm-Gehirn-Achse innerhalb des Clinician Scientist Programms EKFK an der Medizinischen Fakultät der Universität Kiel.
Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und Multiple Sklerose betreffen zwar Gehirn und zentrales Nervensystem, sie haben aber nicht nur eine neurologische Seite. Mittlerweile gibt es Befunde, die zeigen, dass auch Darmbakterien und das Darmimmunsystem chronische neurologische Erkrankungen mitbedingen oder verschlimmern können. Über welche Wege das geschehen kann, erforscht das Clinician Scientist-Programm Darm-Gehirn-Achse des Else Kröner-Forschungskollegs (EKFK) Kiel. Der Schwerpunkt liegt auf der wechselseitigen Beziehung von Darm und Gehirn vermittelt durch Mikrobiom und Entzündung. 2019 startete das Ausbildungsprogramm an der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) mit einer Förderung durch die Else Kröner-Fresenius-Stiftung für zunächst drei Jahre. Jetzt sagte die Stiftung auch die Finanzierung für weitere drei Jahre mit insgesamt 1,2 Millionen Euro zu. „Das Besondere an unserem Programm ist, dass hier Nachwuchsforscherinnen und -forscher aus unterschiedlichen Fachgebieten -– der Neurologie, der Inneren Medizin und der Radiologie – an einem übergeordneten Thema arbeiten. Es war nicht selbstverständlich, dass solch ein interdisziplinärer Ansatz gefördert wird. Die Else Kröner-Fresenius-Stiftung hat hier Mut bewiesen“, betont EKFK- Sprecherin Professorin Daniela Berg, Direktorin der Klinik für Neurologie am UKSH, Campus Kiel. „Die Forschung über systemweite Zusammenhänge bei neurodegenerativen und neuroimmunologischen Erkrankungen ist wesentlich, um zu einem tieferen Verständnis der Krankheitsmechanismen zu gelangen. Das EKFK baut auf einem hochklassigen Forschungskonzept mit international anerkannter Expertise im Bereich entzündlicher und neurodegenerativer Krankheiten auf. Wir freuen uns sehr, dass dieses zukunftsweisende Programm weiter gefördert wird“, sagt Professor Joachim Thiery, Dekan der Medizinischen Fakultät der CAU.
Kommunikation über die Darm-Gehirn-Achse
„Eine wichtige Frage ist, wie können Veränderungen von Darmbakterien oder des Darmmilieus überhaupt Einfluss auf Krankheitsprozesse haben, die sich über Jahre entwickeln ehe es zu Symptomen kommt, die eine Diagnose der Erkrankung erlauben. Hier scheint das Zusammenspiel zwischen Immunsystem, Entzündungsvorgängen und Neurodegeneration eine wichtige Rolle zu spielen“, erklärt Co-Sprecher Professor Thorsten Bartsch, Leitender Oberarzt an der Klinik für Neurologie am UKSH, Campus Kiel, und Mitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI). Doch wie Entzündungs- oder Immunsystem-Botenstoffe das Gehirn beeinflussen, ist nicht geklärt. Denn eigentlich trennt die Blut-Hirn-Schranke das Gehirn streng vom restlichen Körper. Zusätzlich ist das Darmnervensystem wechselseitig mit dem Gehirn über den Vagusnerv verbunden, welcher an der Regulation der inneren Organe maßgeblich beteiligt ist. Über welche Wege nun neurologische Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer und Multiple Sklerose durch das Darmmikrobiom und eine gastrointestinale Funktionsstörung beeinflusst werden, untersuchen zwei der sechs Clinician Scientists innerhalb des Forschungskollegs. In anderen Projekten kommen zum Beispiel neue bildgebende Techniken zum Einsatz. „Die zwei Kollegen aus der Radiologie wenden neue Bildgebungs- und Softwaretechniken an, um sowohl Gehirnvorgänge abzubilden als auch die gestörte Funktion und veränderte Motilität des Darmes zu untersuchen“, betont Berg. Der Hintergrund dazu ist: Eine veränderte Motilität (Bewegungsfähigkeit) des Darmes kann Ausdruck einer Vorläuferphase der Parkinsonerkrankung sein bevor klinische Beschwerden einsetzen. Bei einer Untergruppe von Parkinsonpatientinnen und -patienten beginnen die neurodegenerativen Veränderungen im Darm und breiten sich von dort in das Gehirn aus, wie Untersuchungen gezeigt haben. „Daher ist es so wichtig, dass ein Projekt aus der Neurogastroenterologie mit einer neuartigen Endoskopietechnik untersucht, ob bei Menschen mit Parkinson oder Multipler Sklerose, das Darmnervensystem verändert ist. Dieser interdisziplinäre Ansatz wird noch durch ein weiteres Projekt der Inneren Medizin unterstrichen, welches den Zusammenhang zwischen Entzündung eines spezifischen Gehirnareals (Hypothalamus), der Adipositas und des Darmmikrobioms untersucht.“
Kombination aus strukturierter Facharztweiterbildung und klinischer Forschung
Das EKFK ist eins von fünf Programmen für forschungsinteressierte Ärztinnen und Ärzte mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten, die die Medizinischen Fakultät der CAU mit dem Exzellenzcluster PMI und dem UKSH etabliert haben. Die Programme ermöglichen eine strukturierte Facharztweiterbildung, sichern die klinische und wissenschaftliche Qualifizierung und bieten gleichzeitig Freiraum für die Forschung. „Mit diesen Programmen begegnet die Universitätsmedizin in Schleswig-Holstein dem enormen Bedarf an forschenden und klinisch tätigen Ärztinnen und Ärzten“, betont Medizindekan Thiery. „Clinician Scientists sind unverzichtbar, weil sie die Brücke zwischen Labor und Klinik schlagen. Sie tragen wesentlich zur Translation von Forschungsergebnissen in die Klinik bei.“ Eine Besonderheit der Clinician Scientist Programme in Schleswig-Holstein ist, dass sie in Zusammenarbeit mit der Landesärztekammer entwickelt wurden. Die Weiterbildungscurricula sind offiziell von der Ärztekammer Schleswig-Holstein zertifiziert. Die Weiterzubildenden haben Planungssicherheit. Am Ende des Programms, das je nach Fachgebiet bis zu acht Jahre dauert, haben sie ausreichend Forschungszeiten, und sie haben auch alle Inhalte erworben, die sie für die jeweilige Facharztprüfung benötigen.
Über EKFK
Das Else Kröner-Forschungskolleg Kiel (EKFK) mit dem Titel „Darm-Gehirn-Achse: Relevanz für die Entzündungsmedizin und Neurodegeneration“ wird gemeinsam von der Medizinischen Fakultät der Universität Kiel und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) organisiert und von der Else Kröner-Fresenius-Stiftung gefördert. Die Forschung umfasst krankheitsübergreifende Entstehungsmechanismen und Einflussfaktoren innerhalb der wechselseitigen Beziehung zwischen Mikrobiom, Entzündung und Gehirn bei neurologischen und internistischen Erkrankungen. Das Programm bietet forschungsinteressierten jungen Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit, parallel zu ihrer klinischen Qualifikation zur Fachärztin oder zum Facharzt ein eigenständiges, Forschungsprojekt zu verfolgen und zur Habilitation zu führen. Dafür werden die Clinician Scientists als Teil ihres modularen Curriculums von der jeweiligen Klinik für die wissenschaftliche Tätigkeit freigestellt. Im Rahmen eines begleitenden, strukturierten Ausbildungsprogramms erhalten sie die Möglichkeit, umfangreiche methodische Kompetenzen und wichtige Schlüsselqualifikationen zu erwerben.
Else Kröner-Fresenius-Stiftung
Die gemeinnützige Else Kröner-Fresenius-Stiftung widmet sich der Förderung medizinischer Forschung und unterstützt medizinisch-humanitäre Projekte. Die Stiftung wurde im Jahr 1983 von der Unternehmerin Else Kröner gegründet und zu ihrer Alleinerbin eingesetzt. Die Else Kröner-Forschungskollegien geben forschungsstarken Universitätskliniken die Möglichkeit, wissenschaftlich talentierten jungen Ärztinnen und Ärzten ein optimales Umfeld zur vertieften wissenschaftlichen Arbeit in einem spannenden Themenfeld zu bieten.