(Helmholtz) – Sie gelten als hochinteressante Materialien für die Elektronik der Zukunft: Topologische Isolatoren leiten Strom auf eine besondere Weise und versprechen neuartige Schaltkreise und einen schnelleren Mobilfunk. Ein Forschungsteam aus Deutschland, Spanien und Russland hat nun unter Federführung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) eine grundlegende Eigenschaft der neuen Werkstoffklasse enträtselt: Wie im Detail reagieren die Elektronen im Material, wenn sie mit kurzen Pulsen sogenannter Terahertz-Strahlung „aufgeschreckt“ werden? Die Resultate sind nicht nur für das fundamentale Verständnis dieser neuartigen Quantenmaterialien wichtig, sondern könnten künftig für eine schnellere mobile Datenkommunikation sorgen oder in hochempfindlichen Detektorsystemen für die Erkundung ferner Welten eingesetzt werden, wie das Team im Fachjournal NPJ Quantum Materials (DOI: 10.1038/s41535-021-00384-9) berichtet.
Topologische Isolatoren sind eine noch junge Materialklasse mit einer besonderen Quanteneigenschaft: An ihrer Oberfläche können sie Strom nahezu verlustfrei leiten, wogegen ihr Inneres als Isolator fungiert – hier kann keinerlei Strom fließen. Für die Zukunft verspricht das interessante Perspektiven: Topologische Isolatoren könnten als Grundlage für hocheffiziente elektronische Bauteile dienen, was sie zu einem interessanten Forschungsfeld in der Physik macht.
Noch aber sind einige grundlegende Fragen offen: Was zum Beispiel geschieht, wenn man die Elektronen im Material mit bestimmten elektromagnetischen Wellen – sogenannter Terahertz-Strahlung – „anschubst“ und dadurch energetisch anregt? Klar ist: Die Elektronen wollen den zwangsweise verpassten Energieschub möglichst rasch wieder loswerden, etwa indem sie das Kristallgitter um sich herum erwärmen. Doch bei den topologischen Isolatoren war bislang fraglich, ob dieses Loswerden der Energie in der leitenden Oberfläche schneller passiert als im isolierenden Kern. „Um das festzustellen, mangelte es bisher an geeigneten Experimenten“, erklärt Studienleiter Dr. Sergey Kovalev vom Institut für Strahlenphysik am HZDR. „Bislang war es extrem schwierig, bei Raumtemperatur zwischen der Reaktion der Oberfläche und der des Materialinneren zu unterscheiden.“
Um diese Hürde zu überwinden, entwickelte er gemeinsam mit einem internationalen Team einen raffinierten Versuchsaufbau: Intensive Terahertz-Pulse treffen auf die Probe und regen die Elektronen an. Unmittelbar darauf beleuchten Laserblitze das Material und erfassen, wie die Probe auf den Terahertz-Reiz reagiert. In einer zweiten Versuchsreihe messen spezielle Detektoren, inwieweit die Probe einen ungewöhnlichen nichtlinearen Effekt zeigt und die eintreffenden Terahertz-Pulse in ihrer Frequenz vervielfacht. Diese Experimente führte Kovalev an der Terahertz-Lichtquelle TELBE im ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen des HZDR durch. Daran beteiligt waren Forscher*innen des Katalanischen Instituts für Nanowissenschaften und Nanotechnologie in Barcelona, der Universität Bielefeld, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der TU Berlin sowie der Lomonossov-Universität und dem Kotelnikov-Institut für Funktechnik und Elektronik in Moskau.
Rasanter Energieübertrag
Entscheidend war dabei, dass das Team nicht nur ein einziges Material unter die Lupe nahm. Stattdessen stellten die russischen Projektpartner drei verschiedene topologische Isolatoren mit unterschiedlichen, genau abgestimmten Eigenschaften her: In einem konnten nur die Elektronen an der Oberfläche die Energie der Terahertz-Pulse direkt aufnehmen, in den anderen wurden hauptsächlich Elektronen im Probeninneren angeregt. „Der Abgleich dieser drei Experimente erlaubte es, präzise zwischen dem Verhalten der Oberfläche und der des Materialinneren zu unterscheiden“, erklärt Kovalev. „Und zwar haben sich die Elektronen in der Oberfläche deutlich schneller abgeregt als die im Inneren des Materials.“ Offenbar waren sie in der Lage, ihre Energie unverzüglich auf das Kristallgitter des Materials zu übertragen.
In Zahlen: Waren die Oberflächen-Elektronen nach wenigen hundert Femtosekunden in ihren ursprünglichen energetischen Zustand zurückgekehrt, dauerte dies bei den „inneren“ Elektronen rund zehnmal so lange, also einige Pikosekunden. „Topologische Isolatoren sind hochkomplexe Systeme, sie sind theoretisch alles andere als einfach zu verstehen“, betont Michael Gensch, ehemals Leiter der TELBE-Anlage am HZDR und nun Abteilungsleiter am Institut für Optische Sensorsysteme des DLR sowie Professor an der TU Berlin. „Unsere Resultate können bei der Entscheidung helfen, welche der theoretischen Ideen zutreffend sind.“
Hocheffektive Multiplikation
Doch das Experiment verspricht auch interessante Perspektiven für die digitale Kommunikation, etwa für WLAN und Mobilfunk. Technologien wie 5G arbeiten heute im Gigahertz-Bereich. Ließen sich höhere Frequenzen im Terahertz-Bereich nutzen, könnte man deutlich mehr Daten über einen Funkkanal übertragen. Eine wichtige Rolle könnten dabei sogenannte Frequenzvervielfacher spielen: Sie sind in der Lage, relativ niedrige Funkfrequenzen in deutlich höhere zu übersetzen.
Vor einiger Zeit hatte das Forschungsteam erkannt, dass Graphen – zweidimensionaler, superdünner Kohlenstoff – unter bestimmten Bedingungen als effizienter Frequenzvervielfacher dienen kann. Es vermag eine 300-Gigahertz-Strahlung in Frequenzen von einigen Terahertz zu konvertieren. Das Problem: Ist die eintreffende Strahlung extrem intensiv, verliert Graphen stark an Effizienz. Topologische Isolatoren dagegen funktionieren selbst noch bei intensivster Anregung, so das Resultat der neuen Studie. „Damit könnte es möglich sein, Frequenzen von einigen Terahertz auf mehrere Dutzend Terahertz zu multiplizieren“, glaubt HZDR-Physiker Dr. Jan-Christoph Deinert, der das TELBE-Team gemeinsam mit Kovalev leitet. „Bisher sehen wir da bei den topologischen Isolatoren noch kein Ende.“
Damit könnten die neuen Quantenmaterialien in einem deutlich breiteren Frequenzbereich eingesetzt werden als etwa Graphen. „Am DLR haben wir ein großes Interesse daran, solche Quantenmaterialien in leistungsfähigen Heterodyn-Empfängern für die Astronomie, insbesondere in Weltraumteleskopen, einzusetzen“, erläutert Gensch.