Warum der neue mRNA-Impfstoff ungefährlich ist und so schnell entwickelt werden konnte – Mit einer Einschätzung von Jean Pütz

Herzmediziner aus den USA habe eine hervorragende Argumenten und Erklärung geliefert, warum die Vorbehalte von Impfgegnern auf diese neue technologische Entwicklung Unrecht haben. Der Artikel ist schon Ende Dezember im renommierten Journal of the American College of Cardiology (JACC) Basic Translation Science erschienen. Wir haben ihn für Sie übersetzt und etwas vereinfacht. Auch wenn es an Kardiologen gerichtet war, wollte ich es Ihnen nicht vorenthalten. Für Fachleute interessant sind auch die Literaturangaben.

Jean Pütz

(RKI) – Neuer Corona-Impfstoff: 5 Dinge, die nicht nur jeder Kardiologe wissen sollte
Noch nicht jeder in der Bevölkerung ist überzeugt von dem neuen Impfstoff. Greift die Impfung in die DNA ein? Welche Nebenwirkungen gibt es? Um auf kritische Fragen vorbereitet zu sein, haben Kardiologen aus den USA nun die wichtigsten Aspekte zu den neuen RNA-Vakzinen im Journal of the American College of Cardiology (JACC) Basic Translation Science zusammengefasst.

1. Worin unterscheidet sich der RNA-Impfstoff von anderen Impfstoffen?
Bei dem Impfstoff von Pfizer/BioNTech handelt sich um einen sog. mRNA-basierten Impfstoff. Wenn die EMA grünes Licht gibt, wäre es der erste, auf diesem Prinzip funktionierende Impfstoff, der in Deutschland außerhalb von Studien eingesetzt wird. Das erklärt auch, warum manche Menschen der neuen Vakzine misstrauisch gegenüberstehen.

Ein Argument der Skeptiker: Der Impfstoff würde in das menschliche Genom eingreifen. Das ist falsch. Entgegen halten kann man dem, dass die im Impfstoff enthaltene synthetische mRNA nicht in den Zellkern gelangt, in der sich das Genom befindet. Sie kommt also gar nicht mit der menschlichen DNA in Kontakt. Die synthetische mRNA wird zudem von zellulären Enzymen abgebaut, nachdem sie zu Protein translatiert wurde.

Wir funktioniert nun der Impfstoff? Die Vakzine enthält den Bauplan für die Rezeptordomäne des für den Viruseintritt entscheidenden Spike-Proteins. In Lipid-Nanopartikeln verpackt gelangt die mRNA in die Zelle und wird dort von der zellulären Translations-Maschinerie translatiert und posttranslational modifiziert. Das entstehende Virusprotein wird vom Immunsystem als fremd erkannt und eine Immunantwort wird ausgelöst.

Skepsis herrscht aber auch, weil der Impfstoff vergleichsweise extrem schnell entwickelt worden ist und die einzelnen Studienphasen durchlaufen hat. In ihrem Überblick erklären die US-Mediziner, warum das möglich war. Das Ausgangsmaterial für die Herstellung von RNA-Vakzinen sei bereits vorhanden gewesen, und könne auch schneller aufbereitet werden wie Bestandteile der konventionellen Impfstoffe, für die Hühnereier oder andere tierische Zellexpressions-Systeme benötigt werden.

Sprich, die Plattform-Technologie für die Entwicklung der Impfstoffe gab es bereits, die Schablone musste quasi nur noch an das Genom des neuen Virus angepasst werden. Als die Gensequenz von SARS-CoV-2 bekannt wurde, dauerte es deshalb nur wenige Wochen, bis der erste mRNA-Impfstoff die Phase I erreicht hat.

Bei den RNA-Vakzinen gibt es im Übrigen zwei Arten: selbstampiflizierende und nicht selbstreplizierende, zu letzteren gehört neben BNT162b2 auch der Impfstoff der Firma Moderna (mRNA-1273).

Als Nachteil der RNA-Vakzine sehen die US-Kardiologen die aufwendige Kühlkette, die erforderlich ist. BNT162b2 muss bei –70°C, die RNA-Vakzine von Moderna (mRNA-1273) bei –20°C aufbewahrt werden. Beide Impfstoffe müssen zudem zweimal injiziert werden, um effektiv zu sein.

2. Wie ist das Sicherheitsprofil im Vergleich zu anderen Impfstoffen?
Zuallererst: Bei jeglichen Impfungen können Nebenwirkungen auftreten. Diese seien aber in der Regel nicht schwerwiegend, so die US-Kardiologen. Auch die in den Studien berichteten Nebenwirkungen mit den beiden RNA-Vakzinen sind meist milde (˃ 80%) oder moderat ausgefallen und äußerten sich ähnlich wie die anderer traditioneller Impfstoffe. So kam es häufig zu Fieber und Schüttelfrost (bei 40–60% der Probanden in der Phase I). Daneben traten Fatigue, Kopfschmerzen, Myalgien, Übelkeit und Schmerzen auf. Die Erkrankungsvorfälle, aufgrund derer es zu vorrübergehenden Studienstopps gekommen ist, konnten in keinen der Fälle mit dem Impfstoff in Verbindung gebracht werden.

Seit Beginn des Impfprogramms mit BNT162b2 in Großbritannien ist es dort zu  zwei Fällen einer Anaphylaxie gekommen, und einem möglichen Fall einer anderen allergischen Reaktion. In seinen „Safety Issues“ rät der Hersteller deshalb davon ab, die Vakzine bei Menschen einzusetzen, bei denen in Vergangenheit schwere allergische Reaktionen aufgetreten sind. Der Anteil an der Gesamtzahl der vorgenommenen Impfungen wird aber als sehr gering eingestuft. Auch bei anderen herkömmlichen Impfstoffen sind allergische Reaktionen auf die Vakzine bzw. darin enthaltene Bestandteile möglich.

Wichtig gerade aus kardiologischer Sicht: Die RNA-Vakzine scheinen keine kardiopulmonalen Beschwerden zu verursachen, also weder Brustschmerzen und Dyspnoe, noch Schwellungen der unteren Extremitäten oder Palpitationen.

Was ist mit Langzeitfolgen? „Weil bis jetzt noch keine RNA-Vakzine zugelassen wurde, wissen wir nichts über die Langzeitsicherheit und Effektivität der neuen Technologie“, geben die Mediziner offen zu. Sie gehen aber davon aus, dass die Impfung sicher ist, da sie keine Pathogene enthalte und deshalb nicht infektiös sei. Da die synthetische mRNA nicht in das Genom integriert werden kann (wie oben erwähnt), können keine Mutationen entstehen. Das einzige, was die US-Kardiologen für vorstellbar halten: Dass der fremde RNA-Strang eine ungewollte Immunantwort auslöst (z.B. eine Typ-1-Interferon-Ausschüttung), die Fieber und Schüttelfrost verursachen kann. Das Risiko für solche Reaktionen lässt sich ihrer Ansicht aber minimieren, durch Aufreinigung und Modifikationen der RNA-Moleküle während der Herstellung.

3. Was wir über die RNA-Vakzine noch nicht wissen?
Trotz allem gibt es durchaus noch Unklarheiten. So weiß man beispielsweise nicht, wie der Impfstoff bei schwangeren oder stillenden Frauen wirkt, weil diese in den Studien ausgeschlossen wurden. Dasselbe gilt für immunsupprimierte Patienten und Kinder unter 12 Jahren bzw. unter 18 Jahren im Falle von mRNA-1273. Weitere Studien seien notwendig, um die Sicherheit und Effektivität der Vakzinen bei vulnerablen Personengruppe zu prüfen, erläutern die US-Kardiologen die nächsten Schritte. Ein weiterer Knackpunkt: Aktuell lässt sich noch nichts über die Langzeitimmunität sagen, es ist also unklar, wie lange die Schutzwirkung der Impfung anhält.

4. Welche RNA-Impfstoffe befinden sich in der Phase III?
Die Frage lässt sich recht schnell beantworten. Zum aktuellen Zeitpunkt haben nur die beiden erwähnten RNA-basierten Impfstoffe von Pfizer/BioNTech und Moderna die Phase III erreicht. Von beiden liegen auch schon Ergebnisse vor. Die Daten für BNT162b2 sind im New England Journal of Medicine publiziert, die Schutzwirkung beträgt demnach 95%. mRNA-1273 soll laut Herstellerangaben einen 94,1%igen Schutz bieten.

5. Was passiert als nächstes?
Was bis zum Einsatz der Impfung noch passieren muss, bzgl. dieser Frage ist die Publikation im JACC schon nicht mehr auf dem neuesten Stand. Denn in der Zwischenzeit hat der Impfstoff von Pfizer/BioNTech in den USA und Großbritannien bereits eine Notfallzulassung erhalten. Am 21. Dezember wird die EMA über die Zulassung in Europa entscheiden, und in Deutschland wie auch in anderen Ländern rechnet man fest damit, dass die Behörde grünes Licht geben wird.

In Deutschland steht der Termin für den Impfstart deshalb schon fest: Am 27. Dezember soll es losgehen. Die Vorbereitungen sind vielerorts angelaufen. Corona-Impfzentren wurden aus dem Boden gestampft. Die STIKO hat gerade erst die Impfpriorisierung endgültig festgelegt. Demnach sollen als erstes Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sowie Hochbetagte in einem Alter über 80 Jahre geimpft werden. Zudem medizinisches Personal mit hohem Ansteckungsrisiko und mit engem Kontakt zu vulnerablen Personengruppen, zum Beispiel in den Intensivstationen und Notfallaufnahmen, in der Versorgung von COVID-Patienten oder in der Onkologie/Transplantationsmedizin sowie das Pflegepersonal in den Heimen.