Brandbrief an „abgeordnetenwatch.de“ wegen eines eigenartigen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts

Liebe Frau Boldebuck, lieber Herr Ebener, liebe Mitarbeiter der abgeordnetenwatch.de,

Ihren Missmut kann ich sehr gut verstehen, aber das reiht sich ein in eine Reihe von Fehlurteilen, die höchstrichterlich erlassen worden sind, z. B. die Zulassung von Demonstrationen der sogenannten ‚Querdenker‘-Initiative, wo zu erwarten war, dass sich rechtsradikale Partien anhängen würden, die alle diejenigen, die für Verschwörungstheorien empfänglich sind, einfangen möchte. Es ist nicht nur ein Angriff auf unsere demokratische Verfassung, indem sie den Staat lächerlich macht, sondern auch auf das Anrecht körperlicher Unversehrtheit der Bürger. Den Demonstranten gehen ja die bereits gesetzlich verankerten Auflagen für Corona-Schutz ab. Sie gefährden damit die Gesundheit anderer Bürger. Wer weiß wieviel Anteil diese Demonstrationen an der exponenziellen Ausbreitung verantwortlich sind.

Ich muss noch etwas Grundsätzliches erwähnen: Ich habe einen Sohn und eine Tochter, die meine Frau mit in die Ehe gebracht hat. Beide studieren Jura. Ich bin entsetzt, wie schmalspurig dieses Studium absolviert werden kann. Letztlich ist es der Repetitor mit seiner Paukmethode, der am Erfolg des 1. Staatsexamens wesentlich mitwirkt. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, denn in Köln konnte man nur studieren, wenn man ein juristisches Vorexamen absolviert hat. Das lag daran, dass die Soziologen in die Volkswirtschaftliche Fakultät integriert waren. Dabei haben meine hervorragenden Lehrer René König und Erwin K. Scheuch gelitten, mit dem Vorteil, dass sie mehr empirische Soziologie hervorgehoben haben. Möglicherweise hat mich das vor der Kleinspurigkeit der Juristen gerettet. Meines Erachtens müsste die Richterausbildung  gezielter auf eine umfassendere psychologische und soziologische Grundbildung gerichtet werden. Vielleicht kann ‚ageordnetenwatch.de‘ das mit ihrem großen Netzwerk einmal eruieren. Gerne bin ich zur Mitarbeit bereit.

Mit freundlichen Grüßen
Jean Pütz

(abgeordnetenwatch.de) – Das Urteil aus Leipzig hat uns alle hart getroffen.
Sie erinnern sich: Im Juni hat das Bundesverwaltungsgericht unsere Parteispendenklage in letzter Instanz vollkommen überraschend abgewiesen. Dabei hatten wir zuvor vor zwei Gerichten in allen Punkten recht bekommen.

Jetzt gibt es in dieser Angelegenheit besorgniserregende Neuigkeiten.

Mit Verweis auf das Urteil hat die Bundestagsverwaltung nun gleich mehrere Auskunftsgesuche von abgeordnetenwatch.de verweigert.

Durch unsere Anfragen über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) wollten wir Unterlagen öffentlich machen und unter anderem folgende Fälle ganz genau unter die Lupe nehmen:

  • Spenden vom Waffenhersteller Heckler & Koch an CDU und FDP
  • Die Vermarktung von Politikern durch die Firma NWMD in der „Rent-a-Sozi-Affäre“
  • Parteispenden an die CDU durch das aserbaidschanische Erdölunternehmen SOCAR
  • Den sogenannten „Goldverkauf“ der AfD zur Parteienfinanzierung

Doch wir – oder andere Journalist:innen – können bei der Bundestagsverwaltung zu diesen Fällen nun keine Herausgabe von Unterlagen mehr erwirken.

Damit zeigt sich jetzt, welch fatale Strahlkraft das Urteil aus Leipzig hat. Denn die Richterinnen und Richter haben sinngemäß geurteilt, dass bei Angelegenheiten der Parteienfinanzierung das Parteiengesetz gilt – ein Spezialgesetz, das Vorrang vor dem Informationsfreiheitsgesetz hat.

Laut dem Bundesverwaltungsgericht sorge das Parteiengesetz schon jetzt für ausreichend Transparenz.

Ein schlechter Scherz, wenn man sich klarmacht: Die Öffentlichkeit kann und wird nach dem Richterspruch nicht erfahren, ob und wie die Bundestagsverwaltung dubiosen Parteispenden und verdächtigen Vorgängen nachgeht.

Weil wir nicht bereit sind hinzunehmen, dass wichtige Dokumente zur Parteienfinanzierung zukünftig unter Verschluss bleiben, haben wir nach dem Urteil den Gang zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angetreten.

Mit unserer Verfassungsbeschwerde wollen wir das fatale Urteil des Bundesverwaltungsgerichts anfechten. Denn wenn selbst Journalist:innen keine Einsicht in Prüfunterlagen mehr bekommen, wird öffentliche Kontrolle ausgehebelt.

Doch ohne öffentliche Kontrolle geht es nicht! Immer wieder kommt es bei der Parteienfinanzierung zu groben Ungereimtheiten – deren Prüfung darf nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden!

Bitte geben Sie uns heute den Rückhalt, den wir bei unserer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe brauchen – werden Sie abgeordnetenwatch.de-Förder:in (schon mit nur 5 Euro im Monat und steuerlich absetzbar).

Mit einer Förderung sorgen Sie dafür, dass uns in Karlsruhe nicht die Puste ausgeht. Außerdem investieren Sie in neue investigative Recherchen von abgeordnetenwatch.de, mit denen wir Missstände aufdecken. Denn auch wenn uns die Bundestagsverwaltung nun Steine in den Weg legen will: Wir lassen uns nicht abschrecken und werden mit Ihrer Hilfe weitermachen!