Corona-Restriktionen: Kultur und Humanrelevanz wie Wasser und Brot – Mit einer Einführung von Jean Pütz

Diesen hervorragenden Beitrag von Gabor Steingart möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Er beschreibt die Gefahren, die uns nicht nur die krankmachende Wirkung von Corona bedrohen, sondern langfristig viel gefährlicher werden die Nachwirkungen bzgl. der Kultur und der Kulturschaffenden sein.

Es ist ein Beitrag, den wir uns alle ins Gästebuch schreiben sollten. Parallel dazu möchte ich das Vorwort zu meinem Facebook-Beitrag gleicher Thematik mit Lösungsvorschlägen vorstellen, die leider von den Entscheidungsträgern nicht angenommen wurden (s. Anlage als PDF-Datei)

Ihr Jean Pütz

(Morning Briefing) – Die Regierung versetzt das Land erneut in eine Art Wachkoma: Lockdown 2.0. Aus Menschen werden Betroffene.

Zumindest die Kulturszene des Landes hat ihre Sprachlosigkeit überwunden. Mit einem Lastwagen-Korso, bestehend aus Hunderten Fahrzeugen und begleitet von einem Fußmarsch, wies das Aktionsbündnis #AlarmstufeRot in der Hauptstadt auf die prekäre Lage von Musikern, Tänzern, Schauspielern, Komödianten, bildenden Künstlern, Bühnenarbeitern, Visagisten, Technikern und Produzenten hin. Der Musiker Campino, Sänger und Komponist der „Toten Hosen“, trat an das Mikrofon:

Eine Lockdownstrategie in Schwarz-Weiß, das ist zu wenig. Es geht hier nicht um Weihnachten. Es geht um ein ganzes Jahr und es geht um Tausende Existenzen.

Der Jazzmusiker und Fotograf Till Brönner – bestimmt kein Brausekopf und auch kein Verschwörungstheoretiker – drückte seine Fassungslosigkeit in einem bei Facebook und Instagram veröffentlichten Video aus:

Das Land steht kulturell still und die beweglichsten und ehrlichsten tretet ihr mit den Füßen, wenn ihr nicht handelt.

Die Künstlerin Mia Florentine Weiss bringt die Gefühle ihrer Kolleginnen und Kollegen so auf den Punkt:

Kunst ist systemrelevant. Sie ist der älteste, kleinste gemeinsame Nenner, den wir haben. So lange Kreativität in der Luft liegt, atmen wir. In dem Zuge würde ich gerne das Wort systemrelevant ändern – in humanrelevant. Kunst ist humanrelevant.

Fazit: Die Beschlüsse der Regierung verstören. Sie tun es auch deshalb, weil die Stilllegung des Kulturlebens durch keine medizinische Studie gedeckt ist. Es geht um Symbole. Es geht um eine Machtdemonstration. Es geht darum, die Überforderung der Regierung durch Striktheit und Strenge zu kaschieren. Eine vieldeutige Situation wird durch eindeutige Beschlüsse banalisiert, womöglich auch fiktionalisiert. Mehr als das Wort Corona fürchtet man im Kanzleramt das Wort Kontrollverlust.

So werden die Künstler zum Hauptdarsteller einer surrealen Aufführung, deren Drehbuch  an Franz Kafkas „Die Verwandlung“ erinnert. Sie sind als Individualisten gestartet und wachen als Gregor Samsa auf. Die Beine flimmern hilflos in der Luft. Der Rücken fühlt sich panzerartig an, der Bauch versteift. Das Wahrzeichen der Gegenwartskultur ist Kafkas auf dem Rücken liegender Käfer.