(DGE) – Eine breit angelegte genomweite Assoziationsstudie (GWAS) ergab, dass gleichgeschlechtliches Verhalten nicht von einem einzelnen Gen bestimmt wird, sondern durch viele, und dass eine Überlappung mit 28 untersuchten pychiatrischen Veränderungen wie Depression oder Schizophrenie existiert (1). Zwillingsstudien und andere Erblichkeitsuntersuchungen hatten darauf hingewiesen, dass gleichgeschlechtliches Verhalten eine Gen-Komponente haben könnte (2-5).
Es wurden 493 001 Personen aus den USA, Großbritannien (UK) und Schweden erfasst. Die Studie war somit statistisch genügend gepowert. Davon wurden 477 522 der Personen untersucht. Zunächst wurde das Sexualverhalten mit einem Fragebogen erfasst. In der Probe der UK Biobank (408 995 Personen) berichteten 4.1% der Männer und 2.8% der Frauen über gleichgeschlechtliche Kontakte. Aus den USA wurden die Daten von der Firma 23andMH herangezogen, eines privaten Unternehmens, welches in eingeschickten Speichelproben von Personen auf deren Wunsch – jetzt für nur 99 $ – Genanalysen durchführt, die somit einen Bias haben. Bei diesen Personen lag der Prozentsatz eines nicht stets heterosexuellen Verhaltens etwas höher. Es erfolgten daraufhin genomweite Assoziationsstudien mit Nachfolge-Analysen. Man fand kein einzelnes Gen, auch keine Variationen des X-Chromosoms, sondern fünf autosomale Loci, die mit gleichgeschlechtlichem Verhalten signifikant assoziiert waren. Zwei der Loci lagen bei beiden Geschlechtern, zwei nur bei Männern und ein Locus nur bei Frauen vor. Es errechnete sich eine genetische Disposition von unter 1%. Mit einer anderen Technik fand man bei Trägern der geprüften genetischen Varianten einen Wert von 8 – 25%. Die genetischen Einflüsse überlappten mit externen Bedingungen wie etwa Rauchen, Cannabisgebrauch, Risikobereitschaft oder Offenheit gegenüber Experimenten.
Kommentar
Diese genetischen Befunde gestatten keine Vorhersage der sexuellen Orientierung einer einzelnen Person, denn die fünf identifizierten Loci trügen, wie die Autoren schreiben weit weniger als 1% zum Geschlechtsverhalten bei. Die Befunde unterstreichen vielmehr die Komplexität des menschlichen Sexualverhaltens (1). In allen Gesellschaftsschichten und bei beiden Geschlechtern berichten 2-10% der Menschen, ausschließlich gleichgeschlechtlichen Kontakt oder zusätzlich zum heterosexuellen gehabt zu haben (2-5). Für eine Rolle genetischer Einflüsse spricht das familiäre Vorkommen und dass es häufiger bei eineiigen Zwillingspaaren vorkommt als bei Zweieiigkeit oder unter Geschwistern (6).
Die biologischen Faktoren, welche auch zur sexuellen Präferenz beitragen, sind weitgehend noch unbekannt.
In einem begleitenden Editorial betont Melinda Mills, Soziologie-Professorin in Oxford, U.K., dass heute die Neigung besteht, Sexualverhalten als genetisch determiniert anzusehen. Sie schreibt: „Attributing same-sex orientation to genetics could enhance civil rights or reduce stigma. Conversely, there are fears it provides a tool for intervention or `cure` ”. Heute werde, so Mills, in mehr als 70 Ländern Homosexualität als pathologisch oder illegal und kriminell angesehen und unterliege in etlichen Ländern auch der Todesstrafe (7). Zeke Stokes von der Gay & Lesbian Alliance Against Defamation interpretiert die Studie folgendermaßen: „The new study provides even more evidence that being gay or lesbian is a natural part of human life….The identities of LGBTQ- (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer) – people are not up for debate. This new research reconfirms the long established understanding that there is no conclusive degree to which nature or nurture influence how gay or lesbian person behaves” (8).
Helmut Schatz