Zellatlas der alternden Lunge

Mit zunehmendem Alter geht die Lungenfunktion zurück und die
Anfälligkeit für Atemwegserkrankungen nimmt zu. Um diese Effekte im Detail zu
verstehen, haben Forschende am Helmholtz Zentrum München, Partner im Deutschen
Zentrum für Lungenforschung (DZL), den Alterungsprozess der Lunge auf Ebene
einzelner Zellen untersucht und mit Hilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet.
Nun stellten sie diesen ‚Atlas der alternden Lunge‘ in ‚Nature Communications‘
vor.

Die
Lunge ist ein hochkomplexes Organ, in dem eine Vielzahl unterschiedlichster
Zellen korrekt zusammenarbeiten müssen, um effizientes Atmen und gleichzeitig
Schutz vor Infektionen zu ermöglichen. Wollte man die Lunge eines Menschen mit
all ihren Verästelungen auf dem Boden ausbreiten, so bräuchte man rund 70
Quadratmeter Fläche. Wenn man sich nun vorstellt, dass die Zellen ein paar
Tausendstel Millimeter klein sind und rund 40 verschiedenen hochspezialisierten
Zelltypen angehören, kann man erahnen, wie komplex die Untersuchung von
Prozessen ist, die die ganze Lunge betreffen. Doch der technische Fortschritt
gibt Wissenschaftlern hier neue Möglichkeiten.

„Für
die aktuelle Studie haben wir in einem präklinischen Modell Veränderungen
zwischen jungen und alternden Lungen bis runter zur einzelnen Zelle untersucht“,
erklärt Dr. Herbert Schiller. Er ist DZL-Nachwuchsgruppenleiter am Institut für
Lungenbiologie des Helmholtz Zentrums München und leitete die Studie gemeinsam
mit Prof. Dr. Dr. Fabian Theis, Direktor des Instituts für Computational
Biology. „Das wurde möglich durch neue Methoden zur Einzelzellanalyse. So
konnten wir die Aktivität von Genen in  den einzelnen Lungenzellen per
Gensequenzierer auslesen und den Veränderungen in den entsprechenden
Genprodukten – sprich den Proteinen – zuordnen“, erläutert Schiller.* Um all
diese Daten sinnvoll zusammenzuführen und interpretieren zu können, verwendete
das Team Ansätze aus der künstlichen Intelligenz: „Die schiere Masse der Daten
ist für den Menschen schwer auszuwerten. Deshalb entwickeln wir Algorithmen die
uns besser die Struktur der Daten und die darin verborgene biologische
Steuerung erkennen lassen“, so Fabian Theis.

Die
Untersuchungen ergaben, dass mit zunehmendem Alter sich die Gene in den Zellen
nicht mehr synchron verhielten: „Während in jüngeren Lungen die Zellen eines
bestimmten Typs die Aktivität ihrer Gene sehr genau kontrollieren, ist die
Genaktivität von älteren Lungenzellen, und damit deren Identität, weniger
konstant“, so Herbert Schiller. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich
mit zunehmendem Alter in jeder Zelle die Epigenetik, also Faktoren auf und um
die DNA, individuell verändert und es so zu den unterschiedlichen
Genaktivitäten kommt. Zudem konnten sie zeigen, dass in den Lungenzellen mit
zunehmendem Alter bestimmte Stoffwechselwege stärker oder schwächer aktiv sind.

Aber auch außerhalb der Zellen ändert sich einiges: „Die sogenannte
Extrazelluläre Matrix, also das Proteingeflecht um die Zellen herum, ist im
Alter anders aufgebaut“, erklärt Schiller. „Dabei kommt es beispielsweise zu
einer geänderten Zusammensetzung der als Kollagene bekannten Strukturproteine.“
Die Erkenntnisse der aktuellen Arbeit möchten die Wissenschaftler nun in
Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen im Menschen überprüfen.
„Lungenerkrankungen sind weltweit für jeden sechsten Todesfall verantwortlich“,
schildert Herbert Schiller. „Um ihnen begegnen zu können, müssen wir verstehen,
wie sich die Lunge im Laufe des Lebens verändert und an welchen Stellen man
möglicherweise therapeutisch eingreifen könnte.“

Weitere Informationen

* Konkret wendeten die Wissenschaftler single cell transcriptomics und eine
proteomische Massenspektrometrie-Methode an, um Veränderungen in dreißig
verschiedenen Zelltypen der Lunge zu messen.

Hintergrund:
Die aktuelle Arbeit ist auch ein
Vorreiterprojekt für den Human Cell Atlas (HCA). Dabei handelt es sich um eine Art
Google Maps des menschlichen Körpers, bei dem alle Zellen und Gewebe zu
verschiedenen Zeitpunkten kartiert werden sollen, um eine Referenzdatenbank zur
Entwicklung personalisierter Medizin zu schaffen. Fabian Theis ist hier
federführend beteiligt und Herbert Schiller widmet sich im HCA Konsortium
speziell den Aspekten rund um die Lunge und hat auch das entsprechende Kapitel
im Weißpapier für den Human Cells Atlas mitgeschrieben. Im
nächsten Schritt müssen die entsprechenden Daten nun für menschliche Zellen
erhoben werden, um sie in das Projekt einfließen zu lassen und einen
Fortschritt für Grundlagen- und angewandte Forschung zu erzielen. „Unsere Arbeit
bietet die erste Datengrundlage für Lungenzellen von solch einer Größe“,
erklärt Herbert Schiller. Um sie der Community zur Verfügung zu stellen, haben
die Wissenschaftler ein Webtool gebaut, mit dem Fachkollegen die Daten frei
zugänglich nachvollziehen können: https://theislab.github.io/LungAgingAtlas

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Einzelzelldaten

Original-Publikation:

Angelidis, I. & Simon L.M. et al. (2019): An atlas of the aging lung mapped by
single cell transcriptomics and deep tissue proteomics.
Nature Communications, DOI:
10.1038/s41467-019-08831-9

Das
Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches
Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin
für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten
wie Diabetes mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür
untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil.
Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das
Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied
der Helmholtz-Gemeinschaft, der 19 naturwissenschaftlich-technische und
medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten
angehören. www.helmholtz-muenchen.de

Das
Institut für Lungenbiologie (ILBD) gehört dem Comprehensive
Pneumoloy Center (CPC) an, einem Zusammenschluss des Helmholtz Zentrums München
mit dem Universitätsklinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München und den
Asklepios Fachkliniken München-Gauting. Das CPC verfolgt einen translationalen
Forschungsansatz um neue präventive, diagnostische und therapeutische
Strategien für chronische Lungenerkrankungen zu entwickeln. Das iLBD führt mit
der Untersuchung der Pathomechanismen von Lungenerkrankungen mit zellulären,
molekularen und immunologischen Methoden den Schwerpunkt der experimentellen
Pneumologie an. Das CPC ist einer von fünf Standort des Deutschen Zentrums für
Lungenforschung (DZL). www.helmholtz-muenchen.de/ilbd/index.html

Das
Deutsche Zentrum für Lungenforschung (DZL) ist ein
nationaler Verbund, der Experten auf dem Gebiet der Lungenforschung bündelt und
Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung verzahnt. Standorte
sind Borstel/Lübeck/Kiel/Großhansdorf, Gießen/Marburg/Bad Nauheim, Hannover,
Heidelberg und München. Ziel des DZL ist es, über einen neuartigen,
integrativen Forschungsansatz Antworten auf offene Fragen in der Erforschung
von Lungenkrankheiten zu finden und damit einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung
von Prävention, Diagnose und Therapie zu leisten. http://www.dzl.de/index.php/de/