Wie arktische Seen zum Klimawandel beitragen

Wie arktische Seen zum Klimawandel beitragen

Beitrag des tauenden Permafrosts zur Klimaerwärmung könnte sich bis 2050 verdoppeln

Die Freisetzung von Methan aus Seen in den arktischen Permafrostgebieten
könnte sich künftig aufgrund des Klimawandels abrupt verstärken. Die
Ursache: Durch den tauenden Permafrost wachsen die Seen und an ihrem
Grund frisst sich das Wasser immer tiefer in den bisher gefrorenen
Boden. Wie ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von
Experten des Alfred-Wegener-Instituts festgestellt hat, dürfte sich der
bakterielle Abbau von Pflanzenresten in Seesedimenten dadurch schon in
wenigen Jahrzehnten enorm verstärken – und damit auch der Ausstoß des
Klimagases Methan.

Der dauergefrorene Boden in der kalten Arktis konserviert wie eine
gigantische Kühltruhe riesige Mengen abgestorbener Biomasse, vor allem
Pflanzenreste. Für gewöhnlich tauen während des kurzen arktischen
Sommers nur die oberen Zentimeter oder Meter für einige Monate auf, ehe
sie im Herbst wieder zufrieren. Mit dem Klimawandel aber verstärkt sich
das Tauen. Es setzt früher im Jahr ein und hält länger an, die
sommerliche Auftauschicht wird tiefer und alte Biomasse taut vermehrt
auf. Das Problem: Im auftauenden Boden werden Bakterien aktiv, die die
uralte Biomasse abbauen und durch ihren Stoffwechsel die Klimagase
Kohlendioxid und Methan freisetzen; je stärker das Tauen, desto stärker
der Gasausstoß.

Wie ein internationales Team unter Leitung der US-amerikanischen
Forscherin Katey Walter Anthony vom Water and Environmental Research
Center der University of Alaska in Fairbanks jetzt in Nature
Communications berichtet, schreitet das Auftauen aber offenbar deutlich
schneller voran als bislang angenommen. Das macht sich an den Böden um
und unter den vielen Seen bemerkbar, die in den Permafrostgebieten weit
verbreitet sind und auch weiterhin wachsen. In dem zehnjährigen NASA
Projekt „Arctic-Boreal Vulnerability Experiment (ABoVE)“ haben die
Experten den Gasausstoß an Seen in Alaska erstmals exakt vermessen und
das Ausmaß dieses Tau-Mechanismus’ mithilfe von Satellitenaufnahmen und
Computersimulationen genau abschätzen können. Mit dabei waren auch
Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für
Polar- und Meeresforschung (AWI). Die Ergebnisse sind ernüchternd: Ganz
offensichtlich verstärken die Seen das Auftauen der Permafrostböden in
einem wesentlichen Umfang: Während das allmähliche Tauen in der Umgebung
nur im Zentimeterbereich liegt, taute in den letzten Jahrzehnten der
Untergrund unter neu gebildeten Seen schon bis in 15 Meter Tiefe auf. In
diesen Seen können nun Mikroorganismen die aufgetaute Biomasse
zersetzen und zu Methan und Kohlendioxid umwandeln. Die Wissenschaftler
ermittelten, dass sich die Klimawirkung durch so zusätzlich
entweichendes Kohlendioxid und Methan bereits bis zum Jahr 2050
verdoppeln könnte.

Dafür wertete Ingmar Nitze vom AWI in Potsdam Satellitenaufnahmen aus
den Jahren 1999 bis 2014 aus und erläutert das Phänomen so: „Mit dem
Tauen des Permafrosts sackt der Boden an vielen Stellen ab. Zunächst
bilden sich kleine Schmelzwassertümpel. An ihren Rändern und an ihrem
Grund taut das Wasser den umgebenden Permafrostboden immer weiter auf,
so dass große Seen entstehen.“ Kritisch wird es, wenn diese Seen so tief
sind, dass das Wasser in der Tiefe auch in strengen Wintern nicht mehr
gefriert. Da die Wassertemperatur am Grund der Seen über dem
Gefrierpunkt liegt, setzt sich das Tauen dann auch im Winter fort. So
können die Mikroorganismen im aufgetauten Seeboden fortan rund um das
Jahr aktiv sein und aus den abgelagerten Pflanzenresten in
Fäulnisprozessen Methan produzieren. Schon länger wird vermutet, dass
sich dies erheblich auf die Treibhausgasbilanz der Atmosphäre auswirken
kann, denn Methan wirkt bei der Erwärmung des Klimas bis zu 30 Mal
stärker als Kohlendioxid.

Neu ist die Beobachtung, dass dieser Effekt um und unter den Seen so
stark ist, dass die Wissenschaftler sogar von einem „abrupten Tauen“
sprechen. Die Forscher haben erstmals für alle Permafrostregionen der
Erde insgesamt genau quantifiziert, wie viel Treibhausgas auf diese
Weise zusätzlich entsteht. Dazu wurde in Stichproben verschiedener Seen
die Menge der austretenden Gase gemessen. Ingmar Nitze errechnete
zusammen mit dem Leiter der AWI-Sektion „Permafrostforschung“, Guido
Grosse, aus den Aufnahmen von Landsat-Satelliten, wie viele Seen sich in
den riesigen Permafrostregionen Alaskas ausdehnen und auch wieder
verschwinden: „Bislang gab es entweder nur sehr grobe globale
Schätzungen der Seenfläche im Permafrost oder aber detaillierte
Berechnungen für sehr kleine Gebiete. Die Angaben waren kaum
vergleichbar. Wir liefern jetzt erstmals eine genaue Quantifizierung der
Permafrostsee-Bilanz und können damit Aussagen treffen, wie viel
Permafrost in den vergangenen Jahrzehnten durch schnelles See-Wachstum
tatsächlich aufgetaut wurde“, sagt Ingmar Nitze.

AWI-Mitautor Thomas Schneider von Deimling ermittelte schließlich im
Computermodell mithilfe der umfangreichen Daten den Gesamtausstoß an
Klimagasen im Permafrost unter Einbeziehung der Seen für die kommenden
Jahrzehnte. „Das abrupte Tauen unter den Seen ist ein Phänomen, das
bislang in globalen Klimamodellen nicht berücksichtigt wird. Wie wir
jetzt herausgefunden haben, kann es aber den Anteil der Klimaerwärmung
durch tauenden Permafrost verdoppeln, und wir sollten es deshalb künftig
unbedingt in die Berechnungen einfließen lassen“, sagt Thomas Schneider
von Deimling. Für die Wissenschaftler wirkt sich dieser
Rückkopplungseffekt in der Arktis damit fast so stark auf den
Klimawandel aus wie die globale Landnutzungsänderung.

Die Studie wurde auf deutscher Seite von laufenden Projekten des
European Research Council (ERC PETA-CARB), der ESA (GlobPermafrost) und
des BMBF (PermaRisk) unterstützt. Die amerikanischen Partner sind von
der University of Alaska Fairbanks, der University of New Hampshire,
sowie der Alaska Division of Geological and Geophysical Surveys, und
wurden von der NASA innerhalb des Arctic Boreal Vulnerability
Experiments (ABoVE) unterstützt.

Originalpublikation:

Katey Walter Anthony et al., 21st-century modeled permafrost carbon
emissions accelerated by abrupt thaw beneath lakes. Nature
Communications: https://doi.org/10.1038/s41467-018-05738-9