Wenn
Menschen über 50 innerhalb kurzer Zeit Schmerzen im Bereich des
Schultergürtels entwickeln, mitunter begleitet von Morgensteifigkeit und
Hüftschmerzen, kann dies der Beginn einer entzündlich-rheumatischen
Erkrankung sein: Polymyalgia rheumatica (PMR). Die Deutsche Gesellschaft
für Rheumatologie (DGRh) hat zusammen mit den Fachgesellschaften in
Österreich (ÖGR) und der Schweiz (SGR) sowie weiteren Organisationen
eine Leitlinie zur Behandlung der PMR erarbeitet. Von den gebündelten
Empfehlungen erhoffen sich die Experten spürbaren Nutzen für die
Patienten, da die Therapie bislang uneinheitlich gehandhabt wird. Ein
frühzeitiger und konsequenter Einsatz von Glukokortikoiden, auch als
Kortison bezeichnet, kann die Beschwerden lindern und Folgen verhindern,
so die Experten.
Die
Polymyalgia rheumatica ist, obwohl in der Öffentlichkeit kaum bekannt,
keineswegs selten. „Bei Personen im höheren Lebensalter ist sie nach der
rheumatoiden Arthritis die zweithäufigste entzündlich-rheumatische
Erkrankung“, erläutert Professor Dr. med. Frank Buttgereit von der
Charité – Universitätsmedizin Berlin, unter dessen Leitung die Leitlinie
erstellt wurde. „Typisch ist, dass die Erkrankung selten vor dem 50.
Lebensjahr auftritt und Frauen dreimal häufiger betroffen sind als
Männer“, fügt der Experte hinzu. Neben Schmerzen im Schulter- und
Beckengürtel können auch Fieber, Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit
als Symptome auftreten. Die Erkrankung kann zusammen mit einer
Riesenzellarteriitis auftreten, einer Entzündung der Schläfenarterien
und anderer Blutgefäße. In Europa sind nach Schätzungen 60 von 100.000
Personen im Alter ab 50 Jahren von einer Polymyalgia rheumatica und
Riesenzellarteriitis betroffen.
Im
Unterschied zu anderen rheumatischen Erkrankungen gibt es bei der
Polymyalgia rheumatica keinen spezifischen Bluttest. „Ein Anstieg von
Blutsenkungsgeschwindigkeit und C-reaktivem Protein zeigt jedoch, dass
eine entzündliche Erkrankung vorliegt. Für eine sichere Diagnose müssen
dann noch andere Erkrankungen ausgeschlossen werden“, sagt Professor
Buttgereit.
Die
Behandlung besteht gemäß der neuen „S3-Leitlinie zur Behandlung der
Polymyalgia rheumatica“ in der Gabe von Glukokortikoiden, die oral, also
über den Mund einzunehmen sind. „Die Therapie soll unmittelbar nach
Diagnosestellung eingeleitet werden“, das ist laut Professor Buttgereit
eine wichtige Empfehlung dieser Leitlinie. Bei den meisten Patienten
komme es zu einer raschen und deutlich ausgeprägten Linderung der
Beschwerden. „Viele Betroffene kommen dann ohne weitere Schmerzmittel
aus“, so der Experte.
Wie
viel Kortison benötigt wird, sei von Patient zu Patient verschieden.
Entscheidend ist gemäß der Leitlinie jedoch, dass die Anfangsdosis
ausreichend hoch ist, um die Krankheit möglichst rasch unter Kontrolle
zu bringen. Um die Risiken und Nebenwirkungen so gering wie möglich zu
halten, sollten die Patienten das Medikament morgens einnehmen. „Dies
vermindert das Auftreten von Schlafstörungen und verringert die
Beeinträchtigungen des Hormonsystems“, erläutert Professor Buttgereit.
Nach dem Abklingen der Beschwerden wird die Kortison-Dosis langsam, aber
möglichst kontinuierlich gesenkt. Hier gebe es keine festen Vorgaben,
jedoch Empfehlungen zum Vorgehen bei der Dosisreduktion und dazu, welche
Dosis nach welcher Zeit erreicht werden sollte. Professor Buttgereit
erklärt: „Die Behandlungsdauer sollte so lang wie nötig, aber so kurz
wie möglich sein; und die jeweilig angewandte Dosis sollte so hoch wie
nötig, aber so niedrig wie möglich sein. Nur so kann ein optimales
Nutzen-Risiko-Verhältnis bei der Behandlung mit Glukokortikoiden erzielt
werden.“
Begleitend
zur medikamentösen Behandlung mit Kortison rät die Leitlinie vor allem
bei älteren und gebrechlichen Personen zu einer Physiotherapie. Dadurch
soll verhindert werden, dass die Patienten im Verlauf der Erkrankung
dauerhafte Einbußen in ihrer Beweglichkeit erleiden.
Aus
Sicht der Leitlinienautoren gebe es derzeit keine Alternativen zur
Behandlung mit Glukokortikoiden. In Studien seien Patienten zwar
teilweise erfolgreich mit sogenannten Biologika behandelt worden, für
eine Empfehlung seien die Erfahrungen derzeit noch nicht ausreichend.
Langfristig sind die Aussichten für Betroffene mit Polymyalgia
rheumatica bei einer leitliniengerechten Behandlung durch einen
Rheumatologen gut. „Viele Patienten erholen sich vollständig von der
Erkrankung und benötigen nach einiger Zeit keine Medikamente mehr“, sagt
Professor Buttgereit.