Vermehrt resistente Darmbakterien nach Auslandsaufenthalten

Vermehrt resistente Darmbakterien nach Auslandsaufenthalten:

DGVS fordert mehr Forschung für die Behandlung

Berlin
– Jeder fünfte Tourist, der in Länder mit mangelhaften Hygienestandards
reist, kehrt mit einem multiresistenten – jedoch nicht notwendigerweise
krankmachenden – Darmbakterium in die Heimat zurück. Dies ergab eine
finnische Studie, die aktuell in der Fachzeitschrift Clinical Infectious
Diseases erschienen ist. Das Risiko, dass sich multiresistente Keime im
Darm ansiedelten, stieg bis auf 80 Prozent, wenn Reisende unterwegs
Antibiotika einnahmen. Angesichts dieser Ergebnisse macht die Deutsche
Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und
Stoffwechselkrankheiten (DGVS) auf die Zunahme multiresistenter
Bakterienstämme in Deutschland aufmerksam. Die Fachgesellschaft fordert
mehr Grundlagenforschung für Medikamente und den gewissenhaften und
gezielten Einsatz vorhandener Präparate.

Die
finnischen Wissenschaftler untersuchten Stuhlproben von 430 Reisenden.
Danach finden sich bei jedem Fünften, der ins tropische oder
subtropische Ausland reist, nach seiner Rückkehr Spuren von
Extended-Spectrum Betalaktamase (ESBL). ESBL sondern Bakterien ab, die
gegen viele Antibiotika resistent sind. Von den Testpersonen, die an
Reisedurchfall erkrankten, entpuppte sich jeder zweite als Träger eines
multiresistenten Keims. Nahm der Reisende gegen den Durchfall
Antibiotika, stieg das Risiko bis auf 80 Prozent, einen solchen Erreger
mit nach Hause zu bringen. „In vielen Fällen wissen die Infizierten
nicht einmal, dass sie Träger sind“, sagt Professor Dr. med. Ansgar
Lohse Direktor der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik am
Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf. Auf diesem Wege können Keime
auch bis ins Krankenhaus gelangen, wo sie mitunter auf geschwächte
Patienten treffen. „Was das bedeutet, zeigen die jüngsten Ereignisse am
Universitätsklinikum Kiel“, sagt Lohse.  Dort starben zwölf Patienten,
die sich mit einem multiresistenten Keim infiziert hatten.

Laut
der Antibiotika-Resistenz-Datenbank „ARS“ des Robert Koch-Instituts
haben Multiresistenzen bei Darmbewohnern in Deutschland in den letzten
Jahren deutlich zugenommen:  Bei der Gattung Escherichia coli etwa
verzeichnet das Institut von 2008 bis 2013 im stationären Bereich eine
Zunahme von 5,1 auf 8,8 Prozent derjenigen Erreger, die  gegen drei
Antibiotikagruppen resistent sind. Bei der Gattung Klebsiella pneumoniae
waren 2013 bereits 10,8 Prozent der getesteten Keime von
Krankenhauspatienten gegen drei und 0,4 Prozent sogar gegen vier
Antibiotikagruppen resistent. 

Viele
der Resistenzen entstehen in der Tiermast, wo Bauern großflächig
Antibiotika einsetzen. Experten sehen zudem den zu leichtfertigen
Gebrauch in Tier- und Humanmedizin als entscheidende Ursache: „Oft genug
kommt es vor, dass Ärzte selbst Patienten mit einer Erkältung ein
Breitspektrum-Antibiotikum verschreiben“, kritisiert Lohse. „Um
Resistenzen zu vermeiden, müssen wir Antibiotika sparsam und
zielgerichtet einsetzen.“ Bei Reisedurchfall rät der Experte eher davon
ab, zum Antibiotikum zu greifen: Gewöhnliche Reiseinfekte vergingen in
der Regel nach wenigen Tagen von selbst. Dauert die Krankheit länger,
treten Fieber, starke Schmerzen oder Blut oder Schleim im Stuhl auf,
sollten Betroffene jedoch auf jeden Fall einen Arzt hinzuziehen. 

Die
Ausbreitung von Resistenzen dürfe nicht billigend in Kauf genommen,
sondern müsse aktiv bekämpft werden, so die DGVS. Zudem sollte die
Entwicklung neuer Medikamente nicht zu kurz kommen, so Lohse. „Resistenz
ist ein natürliches, evolutionäres Phänomen, mit dem Keime ihre
Überlebenschancen vergrößern. Es wird also auch ein Zukunftsproblem
bleiben, wenn wir nicht immer wieder neue Wirkstoffe entwickeln.“ Für
Pharmakonzerne lohnt sich die Forschung nach neuen Antibiotika jedoch
finanziell kaum, wenn das Endprodukt nur mit großer Zurückhaltung
verschrieben werden soll. „Wir müssen neue Finanzierungsstrategien
finden, um neue Anreize für Industrie und Forschung zu setzen“, sagt
Lohse.

Literatur:

Antimicrobials Increase Travelers‘ Risk of Colonization by Extended-Spectrum Betalactamase-Producing Enterobacteriaceae

Kantele et al., Clinical Infectious Disease 2015, 60 (6): 837-846

Die
Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und
Stoffwechselkrankheiten (DGVS) wurde 1913 als wissenschaftliche
Fachgesellschaft zur Erforschung der Verdauungsorgane gegründet. Heute
vereint sie mehr als 5.000 Ärzte und Wissenschaftler aus der
Gastroenterologie unter einem Dach. Die DGVS fördert sehr erfolgreich
wissenschaftliche Projekte und Studien, veranstaltet Kongresse und
Fortbildungen und unterstützt aktiv den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Ein besonderes Anliegen ist der DGVS die Entwicklung von Standards und
Behandlungsleitlinien für die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen
der Verdauungsorgane – zum Wohle des Patienten.