Kinderunfälle: verletzte Milz nicht entfernen
Immunorgan schützt lebenslang vor Infekten
Berlin
– Etwa 8000 Menschen ließen hierzulande im vergangenen Jahr ihre Milz
auf dem Operations-Tisch – meist wegen einer Verletzung, etwa einem
Milzriss. Unter den Operierten waren nur 300 Kinder und Jugendliche.
Denn gerade junge Menschen brauchen ihre Milz für die körpereigene
Abwehr. Kinderchirurgen bemühen sich deshalb, eine verletzte Milz zu
retten anstatt das Immunorgan zu entfernen.
Unfälle
beim Reiten, Downhill-Mountainbiking oder im Straßenverkehr, aber auch
ein Sturz vom Wickeltisch verursachen in bis zu 15 Prozent schwere
Verletzungen der Bauchorgane von Kindern. In einem Drittel der Fälle ist
dabei die Milz betroffen. Ein Milzriss kann zum Schock und Tod durch
Verbluten führen. Bei Erwachsenen entfernen Ärzte deshalb meist die
verletzte Milz. Jedoch bedeutet die Entnahme des Immunorgans für
Patienten, dass sie lebenslang stärker anfällig für Infekte sind – bis
hin zur Blutvergiftung mit Todesfolge. „Dieses Risiko ist vor allem im
Kindesalter, aber auch bei Jugendlichen noch einmal deutlich erhöht“,
sagt Professor Dr. med. Bernd Tillig, Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH).
Die
Erkenntnisse über die Milz als wichtiges Organ hätten in der
Kinderchirurgie in den letzten Jahren einen Wandel bewirkt: „Wir
versuchen bei Kindern und Jugendlichen sehr gezielt, das Organ zu
erhalten und eine Entnahme zu vermeiden“, erläutert Tillig, der Chefarzt
der Kinderchirurgie am Klinikum Vivantes in Berlin ist. Auch
Fortschritte in Diagnostik und Therapie spielten bei dieser Entwicklung
eine Rolle. So ist es heute möglich, eine Verletzung im Bauch zu orten,
zu beurteilen und schonend zu behandeln. In etwa 98 Prozent der Fälle
ist eine Verletzung der Milz heute erfolgreich ohne Operation zu
behandeln. „Voraussetzung ist jedoch, dass die Blutung beherrschbar und
nicht primär lebensbedrohlich ist. Zudem müssen die Kliniken die
entsprechende kinderchirurgische Expertise, spezialisierte Ärzte und die
erforderliche technische Ausstattung besitzen“. Oft helfen moderne
interventionelle, radiologische Therapieverfahren, bei denen der Arzt
kleine Katheter über eine Punktion in die Blutgefäße einführt und die
Blutungen in der Milz durch gezielte Embolisierung stoppt.
Das
nicht operative Vorgehen sei jedoch oftmals aufwändiger als die
schnelle Entfernung der Milz. „Wir müssen unsere Patienten auf der
Intensivstation Stunden bis Tage mit modernster Technik engmaschig
überwachen. Da es bei schweren Milzverletzungen letztendlich um Leben
und Tod geht, stehen wir rund um die Uhr bereit, um bei Bedarf die
Blutung doch noch operativ stoppen zu können“. Kinderchirurgie bedeute
mitunter eben auch, gezielt nicht zu operieren, so Tillig.
„Rein
betriebswirtschaftlich gesehen ist das jedoch ein Verlustgeschäft“,
gibt er zu Bedenken. Denn die Krankenkassen bezahlten im Rahmen ihrer
Fallpauschalen für eine Milzentfernung mehr Geld als für einen
Klinikaufenthalt, bei dem die Milz gerettet würde. Hier müsse noch
nachjustiert werden, fordert er.
Quellen:
DRG-Statistik 2013 – Vollstationäre Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern