fzm – In Deutschland sterben jeden Tag vier bis zwölf Menschen an Infektionen, die sie im Krankenhaus erworben haben und die bei einer besseren Hygiene hätten vermieden werden können. Zu dieser Einschätzung gelangt ein Expertenteam in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2010).
Alle Infektionen, die Patienten im Krankenhaus erworben haben, werden als nosokomial bezeichnet. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Ansteckung über andere Patienten oder das Personal erfolgt, wie dies beispielsweise bei Ausbrüchen von Noroviren der Fall ist. Die Hygienexpertin Professor Dr. med. Petra Gastmeier von der Berliner Charité spricht dann von exogenen Infektionen, die sie als weitestgehend vermeidbar einstuft. Schwieriger ist die Situation bei Krankheitserregern, welche die Patienten selbst mit in die Klinik bringen. Haut und Schleimhäute sind von einer Vielzahl von Mikroorganismen besiedelt, erläutert die Expertin. Zur Gefahr werden sie erst, wenn sie über Katheter in normalerweise sterile Körperhöhlen, beispielsweise die Harnblase, oder ins Blut gelangen. Hinzu kommt, dass viele Patienten abwehrgeschwächt sind, was sie hilflos gegen den Angriff von ansonsten harmlosen Keimen macht. Diese endogenen Infektionen sind nur teilweise vermeidbar, berichtet Professor Gastmeier von der Berliner Charité.
Das Nationale Referenzzentrum für die Surveillance (Überwachung) von nosokomialen Infektionen, die Deutsche Sepsis-Gesellschaft, das Aktionsbündnis Patientensicherheit und die Deutsche Gesellschaft für Infektiologe nennen in einem Positionspapier Zahlen. Danach kommt es jedes Jahr an deutschen Kliniken zu 400 000 bis 600 000 nosokomialen Infektionen. Wie viele davon vermieden werden könnten, ist unklar. In Studien gelinge es, die Zahl der Infektionen durch verbesserte Hygienemaßnahmen zu halbieren, berichtet Professor Gastmeier. Im normalen Klinikalltag sei dies nicht zu erreichen, da Studien meistens unter Idealbedingungen durchgeführt würden. Für realistisch hält die Expertin die Vermeidung jeder dritten bis fünften Infektion. Dies würde bedeuten, dass jedes Jahr in Deutschland 80 000 bis 180 000 Patienten verschont würden von zusätzlichen Behandlungen, Schmerzen und längeren Liegezeiten im Krankenhaus, zu denen es infolge von Krankenhausinfektionen kommt.
Einigen Patienten würde durch die konsequente Umsetzung vorbeugender Maßnahmen auch das Leben gerettet. Die Medizinerin gibt die Zahl der vermeidbaren jährlichen Todesfälle infolge nosokomialer Infektionen mit 1500 bis 4500 an, was die erwähnten vier bis zwölf Todesfälle pro Tag ergibt. Auch hierbei handelt es sich um Schätzungen. Sie ergeben sich laut Professor Gastmeier jedoch aus zwei unabhängigen Quellen. Dies sind einmal epidemiologische Studien, die die Hygienexpertin an zwölf Krankenhäusern durchgeführt hat. Aber auch das Kompetenznetzwerk Sepsis kommt in seinen Hochrechnungen zu ähnlichen Zahlen. Eine Sepsis ist die ungehinderte Vermehrung von Krankheitserregern im Blut und die häufigste Todesursache bei nosokomialen Infektionen. Die genannten Zahlen berücksichtigen laut Professor Gastmeier bereits jene Patienten, die auch ohne eine nosokomiale Infektion an ihrer Krankheit gestorben wären.
P. Gastmeier et al.:
Wie viele nosokomiale Infektionen sind vermeidbar?
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2010; 135 (3): S. 91-93