Spitzenforschung für neue Behandlungskonzepte
Das neu gegründete Netzwerk Endoprothetik, welches sich mit künstlichen Gelenken beschäftigt, lud am 10. April 2013 zu einer Auftaktveranstaltung an das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU Dresden. Mehr als 80 Gäste aus Wissenschaft, Forschung und Industrie waren der Einladung gefolgt. Deutschlandweit führende Fachexperten gaben einen Überblick zu aktuellen Trends, Herausforderungen und den Aufgaben, denen sich das Netzwerk stellen wird, allen voran die Entwicklung neuer Behandlungskonzepte. So standen vor allem aktuelle Probleme sowie mögliche Lösungsvorschläge am Beispiel von Hüftimplantaten im Fokus der Veranstaltung.
Implantate sind aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Allein in Deutschland werden jährlich ca. 210 000 Hüftprothesen implantiert. Obwohl diese Eingriffe zu den häufigsten Operationen gehören, sind Implantatverschleiß und die Rekonstruktion der natürlichen Biomechanik immer noch große Herausforderungen. Bei ca. jedem zwanzigsten Patienten treten schmerzhafte Ausrenkungen und Lockerungen des Implantates auf. Zudem entwickelt sich die Arthrose von Gelenken mehr und mehr zu einer Volkserkrankung. Aufgrund der sich stetig ändernden Altersstruktur in den Industrieländern nimmt die Gelenk-Endoprothetik daher einen immer höheren Stellenwert ein. Als Endoprothese werden Implantate bezeichnet, die dauerhaft im Körper bleiben und das geschädigte Körperteil ganz oder teilweise ersetzen. Am bekanntesten sind wohl die künstlichen Hüftgelenke.
Um Lösungsvorschläge für diese Herausforderungen zu erarbeiten, haben sich im Kooperationsverbund »Kunstgelenk – Netzwerk Endoprothetik« deutschlandweit erstmalig neun Industriepartner und fünf Forschungseinrichtungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der klinischen Anforderung über Entwicklung, Fertigung, Zulassung bis hin zum Vertrieb – zusammengeschlossen.
»Wir begegnen in der Gelenk-Endoprothetik tagtäglich zahlreichen Patienten, die trotz modernster Technik über verschiedene Symptome klagen«, erklärt Dr. Ronny Grunert, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU und einer der Koordinatoren des Netzwerkes. »Das vorhandene Verbesserungspotential können wir nur dann offenlegen und ausschöpfen, wenn wir die gesamte Wertschöpfungskette der Gelenk-Endoprothetik betrachten.«
Die Programmpunkte der Auftaktveranstaltung spiegeln diesen ganzheitlichen Ansatz des Netzwerkes wider. Dr. Welf-Guntram Drossel, kommissarischer Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU, stellte in seinem Eröffnungsvortrag den Stellenwert der Medizintechnik am Standort Dresden heraus. Prof. Dr. Georg von Salis-Soglio, Direktor der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Universität Leipzig, ging im Anschluss auf wichtige Meilensteine in der historischen Entwicklung der Endoprothetik ein. So wurden zum Beispiel Hüftprothesen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch aus Elfenbein gefertigt. Heute hat sich, was Materialien und Formen anbelangt, eine große Vielfalt entwickelt.
»Die verschiedenen Materialkombinationen bieten Vor- und Nachteile«, erklärt Dr. Torsten Prietzel, Leiter der Bereiche Endoprothetik und Tumororthopädie der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Universität Leipzig, in seinem Beitrag zu aktuellen Problemen in der Hüft-Endoprothetik. Bei Metall-Metall-Paarungen kann es zu einer erhöhten Metall-Ionen-Konzentration kommen. Abrieb und galvanische Korrosion sind vor allem bei Großkopfprothesen ein vergleichsweise häufig auftretendes Phänomen. Materialbrüche, Knochenauflösungen, Verschleiß und störende Geräusche bei der Bewegung der Endoprothesen sind nur einige aktuelle Herausforderungen, mit denen sich die medizinische Forschung und medizintechnische Entwicklung auseinandersetzen muss. Die computergestützte Simulation und Analyse von Hüftendoprothesenimplantationen, die Etablierung minderinvasiver Operationsverfahren, modifizierte Implantate und neue Technologien bieten ausreichend Entwicklungspotenzial, um den Hüftgelenkersatz zukünftig noch erfolgreicher zu gestalten. Wichtig sei dabei die enge Kooperation zwischen Ärzten und Ingenieuren.
Wilhelm Blömer, Leiter Forschung und Entwicklung Orthopädie/ Wirbelsäulenchirugie der Aesculap AG, stellte aktuelle Herausforderungen aus medizintechnischer Sicht vor. »Die Versagensursachen in der Gelenk-Endoprothetik sind multifaktoriell und sowohl vom Implantat als auch vom Operateur sowie Patienten abhängig«, erklärt Blömer. Die Weiterentwicklung biomechanischer Prüfmodelle sowie der Aufbau eines nationalen Endoprothesenregisters könnten Erfahrungswerte und Qualitätsparameter zu Technologien, operativen Techniken und Patienteneinflüsse bündeln. Ähnliche Register bestehen bereits in über 25 Ländern weltweit.
Dr. Ronny Grunert und Christian Rotsch, Wissenschaftler am Fraunhofer IWU Dresden, zeigten schließlich die wichtigsten Handlungs- und Aktionsfelder des neuen Kooperationsnetzwerkes auf. Dazu gehören in erster Linie die Entwicklung neuer modularer Implantate, Materialien und Herstellungsmethoden sowie nachhaltige Behandlungskonzepte für bioverträgliche Endoprothesen.