Redakteure fallen auf Twitter-Fake-News herein
"Washington Post"-Kolumnist fordert von Journalisten wieder mehr traditionelle Recherche
(pte004/31.01.2019/06:15) – Twitter verleitet Journalisten dazu,
besonders provokativen Sensationsmeldungen hinterherzulaufen, die sich
oft im Nachhinein als unwahr oder völlig überzogen herausstellen. Mit
dieser kritischen Einschätzung sorgt David Von Drehle, Kolumnist der
"Washington Post", für Diskussionen in den US-Nachrichtenredaktionen.
Viele seiner Kollegen würden den Mikroblogging-Service mittlerweile
bewusst meiden, um nicht auf "Fake News" hereinzufallen. Andere bekommen
von ihren Chefs eine Twitter-Auszeit vorgeschrieben, um sich wieder
mehr auf traditionelle Recherchemethoden zu konzentrieren.
"Crystal Meth der Redaktionen"
"Twitter ist das Crystal Meth der Nachrichtenredaktionen", so Von Drehle
in der jüngsten Ausgabe seiner Kolumne. Während es für Journalisten
noch vor einigen Jahren ganz normal gewesen sei, sich zum Aufspüren
interessanter Storys ans Telefon zu setzen und Infos zu einzuholen,
würde man sich hierfür heute vielerorts einfach auf das ständige
Mitlesen der aktuellsten Twitter-Meldungen verlassen. Doch diese seien
meist nichts anderes als "flüchtige Sensationen, kurzzeitige Aufreger,
falsche Eindrücke und provokative Verzerrungen", betont Von Drehle.
"Vielleicht ist das konstante Twitter-Monitoring gerade in einer Zeit,
in der sogar der US-Präsident diese Seite als primären
Kommunikationskanal versteht, besonders verführerisch. Journalisten
verbringen heute aber eindeutig zu viel Zeit in der virtuellen Welt und
vernachlässigen dafür die reale", meint auch Farhad Manjoo, Kolumnist
der "New York Times". Das Mikroblogging-Portal sei "das gefährlichste
soziale Netzwerk der Welt". "Ob Falschmeldungen oder übertrieben
dargestellte Meinungen – für Journalisten kann auf Twitter vieles
schiefgehen", so Manjoo.
Twitter-Auszeit für Mitarbeiter
Natürlich weisen einige Experten darauf hin, dass man es sich gerade in
der heutigen Zeit als Journalist kaum leisten könne, Twitter als
Nachrichtenquelle zu ignorieren. "Journalisten sollten nach jeder
verfügbaren Möglichkeit Ausschau halten, um einen besseren Einblick in
die Öffentlichkeit zu bekommen. Wenn man sich von Twitter lossagt, heißt
das auch, sich von einer potenziell wertvollen News-Ressource
abzuschneiden", erklärt etwa Jeff Jarvis, Mitbegründer des Magazins
"Entertainment Weekly".
Nichtsdestotrotz ist man in manchen US-Medien bereits dazu übergegangen,
den Mikroblogging-Dienst zumindest kurzzeitig aus der eigenen Redaktion
zu verbannen. Ein Beispiel hierfür ist etwa das Newsportal "Insider".
Die dortige Chefredakteurin Julie Zeveloff West hat ihren Mitarbeitern
nun während der Arbeit eine Woche lang den Zugriff auf Twitter verboten.
"Ich möchte sie dadurch ermutigen, ihre Geschichten auf andere Weise zu
finden", rechtfertigt sie die Aktion.