fzm – Wenn jemand unter psychischen Störungen leidet, steht er oft vor der Frage, wer der richtige Arzt für ihn ist: Psychiater oder Psychotherapeut? Ein Aufsatz in der Zeitschrift "Psychiatrische Praxis" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2007) setzt sich für ein biopsychosoziales Krankheitsverständnis ein: Bei psychischer Erkrankung wird eine individuell angepasste Kombination aus somato-, sozio- und psychotherapeutischen Verfahren für erforderlich gehalten. Aber wie sieht es in der Praxis aus? Es bleibt einstweilen umstritten, ob es – abgesehen von hirnorganischen Störungen, Suchterkrankungen und Schizophrenien – objektive Merkmale des Patienten und seiner Erkrankung geben kann, aus denen sich jeweils die Zuordnung zur Psychosomatik oder zur Psychiatrie ableiten ließe.
Seit Beginn war die Psychiatrie einer naturwissenschaftlich orientierten Medizin verpflichtet. Die Psychosomatik hingegen ist in ihrer theoretischen Fundierung im Wesentlichen bestimmt durch die Psychotherapie, insbesondere die Psychoanalyse. Diese unterschiedlichen Perspektiven mani-festieren sich auch in der Versorgungsrealität. In der Psychiatrie muss unausweichlich entschieden und gehandelt werden. In der Psychosomatik hingegen kann man jenseits hoheitlicher Aufgaben auf Freiwilligkeit, Motivation und auf Introspektionsfähigkeit setzen. Allerdings muss bei einer akuten aggressiven Krise die therapeutische Beziehung zumindest unterbrochen werden, denn die Therapie in dieser gefährlichen Krankheitsphase erfolgt fast immer in einer Klinik der Regel- und Pflichtversorgung. Die differierenden Auffassungen von Psychosomatik und Psychiatrie haben sicher auch mit den sehr unterschiedlichen Anforderungen an die therapeutische Kompetenz des einzelnen Therapeuten zu tun. Aber diese schwer integrierbaren Anforderungen werden vom gleichen psychisch kranken Menschen an seine Behandler gestellt. Es wäre hilfreich, wenn wenigstens ein verstärkter Konsiliar- und Liaisondienst die psychoso-matische Kompetenz in der klinischen Medizin verstärken würde. Wir müssen zusammenführen, was hilfreich ist und Spaltungen überwinden: Intrapsychisch und in der Versorgungsrealität.
K.-H. Beine:
Erinnern – Durcharbeiten – Zusammenführen. Zum Verhältnis von Psychosomatik und Psychiatrie.
Psychiatrische Praxis 2007; 34 (4): S. 159-161.