Polarstern kehrt mit wertvoller Fracht in Heimathafen zurück
Forschungsschiff mit 57 Metern Bohrkernen und 750 Kilogramm Gesteinsproben am Donnerstag in Bremerhaven erwartet
Das Forschungsschiff Polarstern wird am Donnerstag, 20. April 2017 mit
dem Morgenhochwasser in seinem Heimathafen zurückerwartet. Damit gehen
gut fünf Monate Antarktis-Saison für den Eisbrecher zu Ende.
Geowissenschaftler warten gespannt in Bremerhaven auf ihre Proben, die
sie im Februar und März auf einer sechswöchigen Fahrt im antarktischen
Amundsenmeer gewonnen hatten. Sie sollen helfen, die
Vereisungsgeschichte der Westantarktis zu entschlüsseln und die
Prognosen für den zukünftigen Meeresspiegelanstieg zu verbessern. Nach
dem Entladen beginnen die Vorbereitungen, um am 22. und 23. April die
Luken beim „Open Ship“ für Gäste zu öffnen.
Vermutlich bis zu 70 Millionen Jahre alt sind die ältesten
Meeressedimente, die Expeditionsteilnehmer aus dem Meeresboden gezogen
haben. „Wir haben zum ersten Mal Sedimentgestein aus der Zeit vor der
ersten großen Vereisung der Antarktis in diesem Teil der Westantarktis
erbohrt“, berichtet Dr. Karsten Gohl stolz. Der Geophysiker vom
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und
Meeresforschung (AWI) war der wissenschaftliche Fahrtleiter der
Expedition ins antarktische Amundsenmeer. Seine Aufgabe war es, den
Einsatz des Bohrgeräts, der Sedimentlote, der seismischen und
aeromagnetischen Messverfahren, der geothermischen Temperatursonde und
der bathymetrischen und sedimentechographischen Kartierungen so zu
koordinieren, dass alle Fahrtteilnehmer mit Proben und Daten versorgt
waren. Zusätzlich brachten die Bordhelikopter Wissenschaftler auf
nahegelegene Inseln und das antarktische Festland, damit sie dort
Gesteinsproben nehmen und geodätische Messpunkte verorten konnten.
Das besondere Highlight war der erstmalige Einsatz des
Meeresboden-Bohrgeräts MeBo70 des Marum der Universität Bremen. „Wir
konnten bei elf Bohrungen mit dem MeBo bis zu 36 Meter tief in den
Meeresboden bohren“, berichtet Karsten Gohl begeistert. Damit das Gerät
Bohrkerne von Sedimenten ziehen konnte, die aus vergangenen Zeiten bis
vor 70 Millionen Jahren abgelagert wurden, wird es von Bord der
Polarstern an einem Spezialkabel zum Meeresgrund herabgelassen. Über das
Kabel steuert das MeBo-Team die Probennahme, bei der das rotierende
Bohrgestänge, das immer wieder aus einem Magazin verlängert wird, nach
und nach tiefere Sedimentschichten abteuft. Die Verbindung mit dem
Schiff bedingt, dass die Polarstern sehr genau auf Position bleiben
muss. Nur etwa zehn Meter seitlich und 20 Meter nach vorn oder hinten
darf sie sich bewegen, damit das MeBo in bis zu 1000 Metern Wassertiefe
sicher arbeiten kann.
Die besondere Herausforderung dabei: Im Untersuchungsgebiet waren
während der Expedition sehr viele Eisberge unterschiedlichster Größe
unterwegs, und solchen Kolossen muss auch ein Eisbrecher wie die
Polarstern ausweichen. „Gemeinsam mit Kapitän Stefan Schwarze und seiner
Crew haben wir Wissenschaftler versucht, aus Satellitenbildern,
Wetterberichten, Strömungsmessungen und der direkten Beobachtung
vorherzusehen, wie die Eisberge driften“, berichtet Fahrtleiter Gohl.
Dass sie dabei erfolgreich waren, zeigen die 57 Meter Sedimentkerne, die
sie jetzt in Bremerhaven von Bord holen werden. Ob die Proben und Daten
ausreichen, die Fragen der Eisschildentwicklung im Amundsenmeer
beantworten zu können, wird sich erst nach eingehenden Analysen in den
Laboren der Heimatinstitute herausstellen. „Gute Anhaltspunkte dafür
haben wir bereits in einer ersten Sichtung der Proben und Daten hier an
Bord gewonnen. So wissen wir, dass wir zum ersten Mal in diesem Teil der
Westantarktis Sedimentgestein erbohrt haben, das etwa 70 bis 50
Millionen Jahre alt ist. Die Sedimente stammen aus einer sehr warmen
Epoche aus der Zeit vor der ersten großen Vereisung der Antarktis“, sagt
Karsten Gohl. Weitere Bohrkerne enthalten Sedimentmaterial aus den
jüngsten Ablagerungen von Schmelzwassereinträgen des
Pine-Island-Gletschers, abwechselnd mit Ablagerungen aus der
Wassersäule. Diese helfen, das Alter der Ablagerungsprozesse und
Abschmelzgeschichte des Gletschers genauer zu bestimmen. [mehr zu den
wissenschaftlichen Hintergründen: https://www.awi.de/nc/ueber-uns/service/presse/pressemeldung/expedition-zu-den-gletschern-der-antarktis.html]
Die wissenschaftlichen Fahrtteilnehmer der Amundsenmeer-Expedition sind
bereits vor ihren Proben in ihren Heimatinstituten angekommen: Die
Antarktis-Fahrt endete Mitte März in Punta Arenas, Chile. Von der
Südspitze Südamerikas aus hat das Forschungsschiff Polarstern vor einem
Monat die rund vierwöchige Rückreise quer über den Atlantik begonnen.
Auf diesem Transit laufen luftchemische und physikalische Untersuchungen
sowie Atmosphärenforschung. In Las Palmas ist dann eine Gruppe von
Studierenden und Betreuern zugestiegen, die ein Trainingsprogramm zu
hydroakustischen Messungen durchführen. In Le Havre kommen fünf
Mitglieder des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technologiefolgenabschätzungen des Deutschen Bundestages und zwei
Vertreter des Bundesforschungsministeriums an Bord, um im
Wissenschaftsjahr 2016*17 – Meere und Ozeane in Begleitung von
AWI-Direktorin Prof. Karin Lochte Einblick in die wissenschaftliche
Arbeit auf Polarstern zu gewinnen. Nebenbei laufen an Bord bereits die
Vorbereitungen für das „Open Ship“. Bei dieser Veranstaltung am
Wochenende nach Ostern steht das Schiff der Öffentlichkeit offen. Die
Gäste können sich zusätzlich bei einem vielfältigen Rahmenprogramm über
die Forschung des Alfred-Wegener-Instituts informieren. [www.awi.de/open-ship]