Neue Forschungsergebnisse bei Herzbeschwerden bei Gesunden und Kranken

Mutationen des Proteins Titin beeinträchtigen bei gesunden Menschen die Herzfunktion


Liegen
Mutationen im Gen für das Protein Titin vor, beeinflusst dies die
Herzfunktion gesunder Menschen. Das hat ein internationales
Forschungsteam unter Beteiligung des MDC-Forschers Prof. Norbert Hübner
herausgefunden und die Ergebnisse am 21. November 2016 in der
Fachzeitschrift Nature Genetics veröffentlicht. Zuvor glaubte man,
nur Patienten mit der dilatativen Kardiomyopathie (Herzmuskelschwäche),
eine der am häufigsten vererbten Herzkrankheiten, wären von den
Mutationen betroffen.

Es ist ein
Paradox, an dem die Wissenschaft lange rätselte: Etwa ein Prozent aller
Menschen weist Mutationen im Titin-Gen auf – scheinbar ohne Auswirkung.
Um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, führte ein internationales
Forschungsteam des Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin in der
Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), des Heart Centre Singapore, der Duke-NUS
Medical School, des Medical Research Council Clinical Sciences Centre
und des Imperial College London nun eine umfassende Studie durch.

Das Ergebnis: Menschen mit Mutationen in ihrem Titin-Gen könnten ein
vorbelastetes Herz haben, welches versagt, sobald es weiteren
genetischen oder äußeren Belastungen ausgesetzt ist. Davon könnten
weltweit 35 Millionen Menschen betroffen sein.  

Ist das Titin-Gen mutiert, kann das eine Erkrankung des Herzmuskels zur
Folge haben.  Bei dieser „dilatativen Kardiomyopathie“ genannten
Herzmuskelschwäche ist das Herz vergrößert und die Pumpleistung
vermindert. Diese Herzschwäche betrifft etwa einen von 250 Menschen
weltweit. 

Die neue Studie analysierte die
Effekte von Titin-Genmutationen bei 2.495 Patientinnen und Patienten mit
dilatativer Kardiomyopathie. Außerdem untersuchten die Forschenden
zwei eigens gezüchtete Tiermodelle der Ratte, um so den Einfluss der
Mutationen auf molekularer Ebene und auf die Herzfunktion zu verstehen.
Zusätzlich sequenzierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
das Genom von 1.409 gesunden Personen und untersuchten deren Herzen
mittels Magnetresonanztomographie (MRT). Diese lieferten hochauflösende
2D- und 3D- Informationen zur Größe und Form der Herzen. 

Diese Daten gaben dem Forschungs-Team neue, bedeutsame Einblicke in
jene genetischen Titin-Varianten, die gleichzeitig die häufigste
genetische Ursache für dilatative Kardiomyopathien sind, gleichzeitig
aber auch viele nicht an dieser Herzschwäche erkrankte Menschen
betreffen. 

Bestimmte Mutationen beeinflussen
bei diesen Menschen die Produktion des Titin-Proteins, was sich bei
jedem Individuum auf das Herz auswirkt. Obwohl das Organ zunächst gesund
zu sein scheint, reagiert es auf diesen ‚genetischen Stress’ etwa mit
Änderungen bei der Proteinherstellung und des Stoffwechsels. Das Herz
kann dies zunächst kompensieren, und die Herzfunktion bleibt einwandfrei
– bis ein weiterer Stressfaktor auftritt. Dann versagt das Herz, denn
es puffert zusätzlichen Stress schlechter ab. 

Professor Norbert Hübner, Leiter der Forschungsgruppe „Cardiovascular
and Metabolic Sciences“ am MDC und Wissenschaftler am Deutschen Zentrum
für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), ist Co-Senior-Autor der Studie. Er
sagt: „Unsere Genom-Analysen zeigten, dass die RNA des mutierten
Titin-Allels abgebaut wird. Dadurch können wir besser verstehen, wie
sich die Titin-Mutationen auswirken.“ 

Die
Studie offenbart neue mögliche Ziele für medikamentöse oder andere neue
Therapien für dilatative Kardiomyopathie sowie eine verlässliche
Diagnostik der Titin-Mutation mittels Gentests. Die Erkenntnis, dass
Titin-Mutationen das Risiko für Herzversagen bei vielen ansonsten
gesunden Menschen erhöhen, hält einige weitere drängende Fragen für die
Forschung bereit: Warum geht es manchen Menschen mit diesem
Erbgut-Fehler über lange Zeiträume gut, anderen jedoch nicht? Welche
zusätzlichen genetischen Faktoren oder Umwelteinflüsse (Alkohol,
Vireninfektionen) bedeuten für diese Menschen ein besonderes Risiko für
ein Herzversagen? Das wollen die Forscherinnen und Forscher als nächstes
herausfinden.