Menschen mit Diabetes leiden doppelt so häufig an Depressionen

Stark erhöhte Suizidgefahr und mehr Folgeerkankungen

Menschen mit Diabetes leiden doppelt so häufig an Depressionen

Berlin
– In Deutschland sind 6,5 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt, die
meisten an Typ 2. Davon leiden schätzungsweise 800.000 Menschen
gleichzeitig an einer behandlungsbedürftigen Depression. „Depressionen
kommen bei Menschen mit Diabetes damit doppelt so häufig vor wie in der
Allgemeinbevölkerung“, sagt Professor Dr. Diplom-Psychologe Bernd
Kulzer, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der
Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Mit ernsten Folgen: Die
Betroffenen haben schlechtere Blutzuckerwerte und entwickeln häufiger
gefäßbedingte Folgeerkrankungen etwa an Nieren, Augen und Füßen. Darüber
hinaus ist die Suizidgefahr um 50 Prozent erhöht, vor allem bei
jüngeren Männern mit Diabetes Typ 1. Betroffene sollten sich bei
Warnzeichen psychologische Hilfe suchen, rät die DDG. Dafür gibt es
spezielle Expertise – zum Beispiel von Fachpsychologen Diabetes der DDG.
„Depressiv erkrankte Menschen mit Diabetes können sich aber auch an
jeden niedergelassenen Psychotherapeuten wenden“, ergänzt Dr. Andrea
Benecke, Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). Lässt sich
der Blutzucker nur schwer einstellen, helfen speziell weitergebildete
Psychotherapeuten weiter.

„Depressionen
bei Patienten mit Diabetes stellen ein massives und bislang
unterschätztes Problem dar“, betont Professor Dr. med. Baptist Gallwitz,
Past Präsident und Pressesprecher der DDG. Auslöser einer begleitenden
Depression sind häufig diabetesbezogene Belastungen. „Patienten mit
Diabetes müssen jeden Tag Verantwortung für ihre Therapie übernehmen,
ihre Blutzuckerwerte genau im Blick haben, Medikamente dosieren und
einnehmen, Rückschläge verarbeiten“, erläutert Kulzer. „Dies kann
besonders dann sehr stressig und depressionsfördernd sein, wenn neben
dem Diabetes noch andere Belastungen im Leben vorhanden sind, negative
Erlebnisse wie Unterzuckerungen oder Folgeerkrankungen auftreten oder
Menschen wenig Unterstützung im Umgang mit dem Diabetes erfahren.“

Die
Auswirkungen einer klinischen Depression auf den Gesundheitszustand der
Diabetespatienten sind gravierend. „Depressive Stimmungseinbrüche
können eine Diabetesbehandlung erheblich gefährden“, warnt BPtK-Vorstand
Benecke. „Die Patienten sind nicht mehr ausreichend in der Lage, die
notwendigen Blutzuckermessungen durchzuführen und sich Insulin zu
spritzen.“ Sie versinken in negativen Gedanken, wie: „Ich kann den
Diabetes nicht mehr ertragen”, „Ich tue mein Bestes, aber es reicht
nicht”, „Ich will meine Ruhe haben und keinen Diabetes”. In der
Konsequenz verschlechtert sich der Langzeitblutzuckerwert HbA1c. Ohne
eine psychotherapeutische Behandlung sei dann eine erfolgreiche
Diabetestherapie kaum mehr möglich, betont Andrea Benecke.

Behandlungskosten steigen um bis zu 90 Prozent

Darüber
hinaus übt die Depression einen direkten negativen körperlichen
Einfluss auf die Stoffwechselstörung aus. Grund: Die psychische
Erkrankung führt über eine Aktivierung der Hypophysen-Nebennieren-Achse
zu einer Erhöhung entzündlicher Prozesse an den großen und kleinen
Blutgefäßen. „Das wiederum fördert die Entstehung weiterer
Folgeerkrankungen etwa an Nerven, Augen, Füßen oder Nieren“, so Kulzer.
Insgesamt steigen die Behandlungskosten durch die Mehrfach-Therapie von
Diabetes, Depression und Folgeerkrankungen um 50 bis 90 Prozent.1

Die
Folgeerkrankungen – dazu zählen vor allem Schlaganfall und Herzinfarkt –
tragen maßgeblich dazu bei, das Sterblichkeitsrisiko bei Menschen mit
Diabetes und Depression zu verdoppeln. Ein weiterer Faktor ist die
erhöhte Suizidrate. „Wir müssen leider feststellen, dass das
Suizidrisiko höher liegt als bei depressiven Menschen ohne Diabetes“, so
Kulzer. Wie eine aktuelle Studie zeigt, steigt die Suizidgefahr bei
Diabetes um 50 Prozent im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung, besonders
bei jüngeren Männern mit Typ-1-Diabetes. „Hochgerechnet auf Deutschland
bringen sich täglich mehr als zwei Personen mit Depression und Diabetes
um, jährlich über 800 Menschen – eine viel zu hohe Zahl“, erklärt
Kulzer. „Fest steht: Depressive Diabetespatienten sind kränker und
sterben früher.“

Die Hälfte aller Depressionen wird nicht erkannt

Dennoch
wird die Hälfte aller Depressionen bei Diabetes nicht erkannt. „Die
Diagnose wird viel zu selten gestellt“, so Kulzer. Patienten sollten
daher auf entsprechende Warnzeichen achten. „Wenn die Therapie zur Last
wird und mehr Energie als bisher kostet, ist das ein Alarmsignal“,
erklärt der Psychologe. Dann kann unter Umständen professionelle Hilfe
notwendig sein. „Diabetespatienten, die unter depressiven Stimmungen
leiden, erhalten seit dem 1. April dieses Jahres schnell einen Termin in
der neu eingeführten psychotherapeutischen Sprechstunde“, betont
BPtK-Vorstand Benecke. „Jeder niedergelassene Psychotherapeut kann
depressiv erkrankte Menschen mit Diabetes behandeln.“ Ist der Blutzucker
dauerhaft nicht stabil einzustellen, kann an speziell weitergebildete
Psychotherapeuten vermittelt werden.

Ressourcen stärken, negative Muster bearbeiten

Im
Zuge einer Psychotherapie stärken die Experten unter anderem die
Ressourcen der Diabetespatienten, ermöglichen Erfolgserlebnisse oder
finden tiefer liegende negative Muster, die der Diabetesbehandlung im
Wege stehen und bearbeitet werden müssen. „Ziel einer Therapie ist eine
gefestigte psychische Verfassung, die eine Rückkehr zu einem
verlässlichen Selbstmanagement des Diabetes ermöglicht, was sich
wiederum in einem stabilen HbA1c-Wert ausdrückt“, erläutert Andrea
Benecke.

Mehr Psychotherapeuten für Diabetespatienten

Um
die psychosoziale Betreuung von Patienten mit Diabetes und einer
begleitenden Depression zu stärken, hat die DDG bereits vor Jahren eine
Weiterbildung zum „Fachpsychologen DDG“ ins Leben gerufen. Darüber
hinaus wird sich auch die psychotherapeutische Versorgung für
Diabetespatienten mit psychischen Störungen wie Depressionen in Zukunft
verbessern. Dafür sorgte Anfang des Jahres 2017 der 30. Deutsche
Psychotherapeutentag in Hannover, der die Muster-Weiterbildungsordnung
der Psychologischen Psychotherapeuten um eine Weiterbildung zur
„Speziellen Psychotherapie bei Diabetes“ erweiterte.

„Wir
begrüßen diese Entscheidung sehr“, betont Gallwitz. „Es ist wichtig,
die psychische Seite des Diabetes viel mehr als bisher zu beachten und
für die Betroffenen künftig angemessene Therapieangebote zur Prävention
und Behandlung von psychischen Erkrankungen zur Verfügung zu stellen.“

Wer sich depressiv fühlt, kann zunächst einen Kurztest der WHO machen: http://www.diabetes-psychologie.de/templates/main.php?SID=705. Bei Bedarf helfen psychologische oder psychotherapeutische Spezialisten weiter (siehe unten).

Hier gibt es spezielle Hilfe:

•   
Die DDG führt eine Liste aller „Fachpsychologen Diabetes DDG“, die ein
spezielle diabetologische Weiterbildung erhalten haben:
www.diabetes-psychologie.de. Suche nach Postleitzahlen ist möglich unter: http://www.diabetes-psychologie.de/templates/main.php?SID=2798

•    Auch die Bundespsychotherapeutenkammer bietet eine Suche nach Psychotherapeuten an: http://www.bptk.de/service/therapeutensuche.html. In Rheinland-Pfalz gibt es erste Absolventen der neuen Weiterbildung zum Psychodiabetologen: https://www.lpk-rlp.de/