Gletscherschmelze unter Beobachtung
AWI beteiligt sich mit zwei Millionen Euro an den Kosten für eine neue Satellitenmission
Start GRACE-FO-Mission am 22. Mai 2018 (12.47 Uhr Ortszeit PST; 21.47 Uhr deutsche Zeit)
Vor einigen Monaten verglühten die zwei Erdbeobachtungs-Satelliten der
GRACE-Mission in der Atmosphäre. Zwar war dieses Ende planmäßig, doch
riss es den Experten des Alfred-Wegener-Instituts eine Lücke in die
Erforschung der Eisverluste in der Antarktis und in Grönland. Nun
startet endlich die Nachfolge-Mission. Sie wird wesentlich dazu
beitragen, den künftigen Meeresspiegelanstieg besser abschätzen zu
können.
Eine der größten Gefahren des Klimawandels ist zweifellos der
fortschreitende Meeresspiegelanstieg, der umso größer ausfallen wird, je
stärker die mächtige Eisdecke auf Grönland und in der Antarktis
schmilzt. Um die Massenverluste dieser großen Eisschilde besser
einschätzen zu können, werten Wissenschaftler des
Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und
Meeresforschung (AWI), permanent Erdbeobachtungsdaten von Satelliten
aus. Eines der wichtigsten Raumfahrzeug-Duos waren für sie die
GRACE-Satelliten, die seit dem Jahr 2002 im Orbit kreisten, 2017 aber im
hohen Alter von 15 Jahren außer Dienst gestellt und Anfang dieses
Jahres zum Verglühen kontrolliert in die Erdatmosphäre gelenkt wurden.
Seitdem fehlte den AWI-Experten und der internationalen Forschergemeinde
eine wichtige Informationsquelle zum Zustand der großen Eisschilde.
Um nun die Lücke zu schließen, wird am 22. Mai 2018 vom Vandenberg
Luftwaffenstützpunkt in Kalifornien (USA) der Nachfolger GRACE Follow-On
(GRACE-FO) in den Orbit geschossen. „Wir sind sehr froh darüber“, sagt
der AWI-Geophysiker Ingo Sasgen. „Die erste GRACE-Mission hat uns 15
Jahre lang eine einzigartige und hochinteressante Zeitreihe über die
Massenverluste der Eisschilde geliefert. Seit Juni 2017 ist die
Zeitreihe unterbrochen und wir haben zum Beispiel keine Daten zur
letzten Schmelzsaison in Grönland. Es ist gut, dass die Messungen jetzt
weitergehen.“
GRACE ist die Abkürzung für „Gravity Recovery And Climate Experiment“,
was man frei mit „Schwerefeld-Messung und Klimaexperiment“ übersetzen
kann. Wie der Name andeutet, haben die Satelliten die Aufgabe, das
Schwerefeld der Erde einmal pro Monat komplett zu vermessen. Diese
Schwerefelddaten werden von verschiedenen Experten zu ganz
unterschiedlichen Zwecken genutzt. Sie sind aber eben auch für die
AWI-Forscher besonders wichtig, denn die Eismassenveränderung in
Grönland und der Antarktis macht sich auch im Schwerefeld der Erde
deutlich bemerkbar. Geht mehr Eis durch Schmelzen und Gletscherkalben
verloren als durch Schneefall hinzukommt, nimmt das Gewicht der
Eisschilde ab und damit die Erdanziehungskraft vor Ort. Die
GRACE-Messungen verraten also, ob, wo und wie viel die Eisschilde in der
Summe wachsen oder schrumpfen.
Die beiden Satelliten fliegen in einem Abstand von etwa 220 Kilometern
hintereinander her und überprüfen mit einem Mikrowellenradar permanent
ihren Abstand zueinander. Überfliegt der erste Satellit einen Bereich
mit erhöhter Schwerkraft, wird er leicht angezogen und dadurch
beschleunigt. Der Abstand zum zweiten vergrößert sich. Diese Abweichung
verrät, wie stark die Schwerefeldänderung in einem Umkreis von etwa 400
km ist. Dabei ist die Messgenauigkeit des Mikrowellenradars erstaunlich.
Er misst den Abstand zwischen den beiden Satelliten auf einige
Mikrometer genau.
Auch bei der neuen GRACE-Mission kommt der Mikrowellenradar zum Einsatz.
„Man hat auf bewährte Technik gesetzt, um schnell eine zweite Mission
starten zu können und nicht zu viel Zeit zu verlieren und Datenlücken zu
riskieren“, erklärt Ingo Sasgen. „Zusätzlich ist aber noch ein
Lasermessgerät an Bord, das während dieser Mission getestet wird. Es ist
rund 25-mal genauer als der Mikrowellenradar und kann damit die Analyse
des Schwerefeldes noch verbessern.“
Die wissenschaftliche Betreuung der aktuellen GRACE-FO Mission liegt wie
beim Vorgänger beim Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) und bei der
NASA. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt führt im Auftrag des
GFZ den Missionsbetrieb durch. Das AWI wiederum bringt seine
Eis-Expertise ein und hat sich an den Kosten für die
Falcon-9-Trägerrakete von Space X mit zwei Millionen Euro beteiligt.
Ingo Sasgen und seine Kollegen benötigen die Daten von GRACE-FO nicht
nur, um einen Eindruck zu bekommen, wie die großen Eisschilde auf die
fortschreitende globale Erwärmung schon jetzt reagieren. Sie füttern
damit auch mathematische Modelle, sogenannte numerische Klimamodelle, um
besser abzuschätzen, wie sich die Eisverluste künftig entwickeln
könnten. Obwohl GRACE-FO sehr genaue Schwerefeldmessungen durchführt,
kombinieren die AWI-Experten die Daten mit Messungen anderer Satelliten,
zum Beispiel mit denen von CryoSat-2. Dieser tastet die Erde mit
Radarstrahlen ab, um die Höhe der Eisbedeckung mit hoher Auflösung zu
bestimmen. So lässt sich mit CryoSat-2 zum Beispiel recht gut erkennen,
an welcher Stelle eines Gletschers viel Schnee niedergegangen ist.
GRACE-FO tastet ein Raster von 400 Kilometern ab, das ist recht grob.
CryoSat-2 hat mit typischerweise fünf Kilometern eine deutlich höhere
Auflösung. Doch auch CryoSat-2 hat seine Grenzen. Die Radarstrahlen
dringen ein wenig in Schnee und Eis ein, was die exakte Messung der
Schnee- oder Eishöhe schwierig macht, vor allem weil man die genauen
Bedingungen vor Ort nicht kennt. Das AWI führt deshalb zusätzlich
Kalibrationsmessungen mit seinen Forschungsflugzeugen durch. Eine
weitere Unsicherheit: Schnee sackt nach und nach unter seinem Gewicht in
sich zusammen. Auch das verfälscht die Höhenmessung. „Ob eine
Veränderung der Eis- und Schneehöhe durch eine solche Kompaktierung oder
durch Schmelze ausgelöst wurde, können wir allein mit CryoSat-2-Daten
nicht feststellen. Dazu brauchen wir wiederum GRACE Follow-On“, sagt
Ingo Sasgen. „Denn die Veränderung des Schwerefeldes zeigt uns, ob es
tatsächlich Eis- und Schneemassenverluste gibt.“ Die Daten der
verschiedenen Satelliten ergänzen sich also sehr gut, weil jeder seine
Stärken hat.
Mit dem Start von GRACE-FO schließt sich jetzt nach rund einem Jahr eine
Lücke im Feld der Wissenschafts-Satelliten. Wie beim Vorgänger ist die
Missionsdauer von GRACE-FO zunächst für fünf Jahre geplant. Ingo Sasgen
hofft, dass die zweite Generation genau wie die erste aber vielleicht
sogar 15 Jahre durchhält. „Dann hätten wir insgesamt eine Zeitreihe von
rund 30 Jahren. Für Klimamodelle wäre das eine wirklich aussagekräftige
Zeitspanne. Diese Daten dürften noch in Jahrzehnten für die
Klimaforschung von Bedeutung sein.“