Krebs: Die Wurzeln des Übels reichen weit zurück

Krebs: Die Wurzeln des Übels
reichen weit
zurück

Neue Erkenntnisse der molekularen
Evolutionsforschung kommen
aus Kiel
Jedes Jahr erkranken rund 450.000 Menschen
in
Deutschland an Krebs. Und alle träumen sie von einem Sieg im Kampf gegen
die
grausame Krankheit. Aber kann man den Krebs je völlig besiegen?
Forscherinnen
und Forscher der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) treten
jetzt
einen ernüchternden Beweis an: „Krebs ist so alt wie das vielzellige
Leben auf
der Erde und lässt sich wohl nie ganz ausrotten“, ordnet Professor
Thomas Bosch
seine neuesten Forschungsergebnisse ein. Die Studie eines
internationalen Teams
um Bosch wurde heute (Dienstag, 24. Juni) im angesehenen Fachjournal
Nature
Communications veröffentlicht.
Die sogenannten Krebsgene sind
uralt
Die Ursache für Tumorerkrankungen sind die

sogenannten Krebsgene. Seit wann die Evolution Tumore hervorbringt, ist
eine
Frage, der die Wissenschaftler Tomislav Domazet-LoŠo und Diethard Tautz
vom
Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön bereits seit einigen
Jahren
mit modernen bioinformatischen Methoden und Datenbanken nachgehen. „Bei
der
Suche nach dem Ursprung der Krebsgene haben wir unerwarteter Weise
herausgefunden, dass viele dieser Gene von den ersten Tierarten
abstammen“,
erläutert Domazet-LoŠo. Er ist Ko-Erstautor der aktuellen Studie und ist
heute
am Ruder BoŠković Institut und der Katholischen Universität von
Kroatien in
Zagreb tätig. „Unsere Daten sagten voraus, dass schon die ersten
vielzelligen
Tiere die meisten der Gene hatten, die beim Menschen Krebs auslösen
können.“ Was
bislang fehlte, war zum einen der direkte Beweis, dass diese ersten
Tierarten
tatsächlich an Tumoren leiden können, und zum anderen die molekulare
Aufklärung
der Mechanismen, die zur Tumorentstehung in ursprünglichen Organismen
führten.

Tumor-Ursache: Fehlerhaft
programmierter
Zelltod
Dem Forschungsteam um den
Evolutionsbiologen
Professor Thomas Bosch vom Zoologischen Institut der Universität Kiel
ist es
jetzt gelungen, ein neues Verständnis über die Ursprünge von Krebs zu
erlangen.
Er untersucht seit Jahren die Stammzellen und die Regulation des
Gewebewachstums
im stammesgeschichtlich alten Polypen Hydra. „Jetzt haben wir in zwei
unterschiedlichen Hydra-Arten, einem korallenähnlicher Organismus,
tumortragende
Polypen entdeckt“, betont Bosch das erste Ergebnis der neuen Studie.
Damit sei
bewiesen, dass Tumore tatsächlich in primitiven und alten Tierarten
wuchern
können.
Auch der zellulären Ursache der Tumore
entlang der
gesamten Körperachse sei das Team auf die Spur gekommen: Erstmals
konnten sie
zeigen, dass Stammzellen, die zur geschlechtlichen Differenzierung
programmiert
sind, sich massenhaft anhäufen können und dann nicht auf natürlichem
Wege durch
programmierten Zelltod entfernt werden. Interessanterweise sind nur
weibliche
Hydra-Polypen von diesen Tumoren betroffen, die dem Eierstockkrebs beim
Menschen
ähneln.
„Bei der weiteren molekularen Analyse der
Tumore
stießen wir auf ein Gen, das im Tumorgewebe drastisch hochreguliert ist
und das
den programmierten Zelltod normalerweise verhindert“, beschreibt
Alexander
Klimovich, Stipendiat der Alexander-von-Humboldt Stiftung am
Zoologischen
Institut der Universität Kiel und Ko-Erstautor der aktuellen Studie die
zweite
Erkenntnis aus der Studie. „Da eine nicht funktionierende
Zelltod-Maschinerie
auch bei vielen Krebsarten des Menschen für Wachstum und Ausbreitung der
Tumore
verantwortlich gemacht wird, tauchen hier frappierende Ähnlichkeiten zum
Krebs
bei Menschen auf“, so Klimovich weiter.
Als drittes konnten die
Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler zeigen, dass Tumorzellen invasiv sind. Das heißt, werden

Tumorzellen in einen gesunden Organismus eingebracht, können sie dort
ein
Tumorwachstum auslösen. Aus seiner Forschung an Hydra-Arten schließt
Bosch
daher: „Auch die invasive Eigenschaft von Krebszellen ist
stammesgeschichtlich
uralt.“ 

Tumore haben tiefe Wurzeln in der
Evolution
Die Mittel, die für den Feldzug gegen den
Krebs
weltweit eingesetzt werden, sind gewaltig. Allein die Ausgaben der USA
für die
Krebsforschung betrugen im Jahr 2012 über 500 Milliarden Dollar. Aus der

weltweiten Forschung sind verbesserte Vorbeugungs-, Diagnose- und
Behandlungsmethoden entstanden, die durchaus Erfolge verbuchen können.
Aber
gerade bei einigen häufigen Tumorerkrankungen gibt es nur langsame
Fortschritte.
Auch heute erliegt immer noch jeder zweite Betroffene seinem
Krebsleiden. Allein
in Deutschland stirbt jeder Vierte an Krebs, Tendenz steigend (World
Cancer
Report 2014). Diese Zahlen waren für das National Institute of Health,
USA,
Anlass genug, um ein Netzwerk ins Leben zu rufen (Physical
Science-Oncology
Centers). Diese Initiative soll die Forschungszentren aus verschiedenen

Fachdisziplinen aus dem Gebiet der Krebsforschung zusammen bringen. Paul
Davies,
a bekannter Theoretischer Physiker und Autor, leitet eines dieser
Zentren in
Phoenix, Arizona. In einem Interview mit The Guardian (2012) sagte er:
„Natürlich, gänzlich verstehen werden wir Krebs erst im Kontext seines
biologischen Ursprungs.“ (frei übersetzt)    

Laut dem Forschungsteam um Bosch sind die
neuesten
Erkenntnisse aus der Hydra-Forschung ein großer Meilenstein auf dem Weg
zu
diesem Ursprung: „Unsere Forschungen bestätigen erneut, dass alte Tiere
wie die
Hydra-Polypen beim Verständnis so komplexer Probleme wie ‚Krebs‘ extrem

aufschlussreich sind. Außerdem macht es unsere Studie unwahrscheinlich,
dass der
in den siebziger Jahren ausgerufene ‚War on Cancer‘ jemals gewonnen
werden kann.
Aber unseren Feind von seiner Entstehung an zu kennen, ist der beste
Weg, ihn zu
bekämpfen, und viele Schlachten zu gewinnen“, so Bosch.

Originalpublikation:
Tomislav
Domazet-Loso, Alexander Klimovich, Boris Anokhin, Friederike
Anton-Erxleben,
Mailin J. Hamm, Christina Lange & Thomas C.G. Bosch (2014) Naturally

occurring tumours in the basal metazoan Hydra. Nature Communications