Klassische Chemie – immer wieder überraschend

Wissenschaftsforum Chemie 2013

Klassische Chemie – immer wieder überraschend

Anorganische
Chemie und Organische Chemie gelten als die klassischen Disziplinen der
Chemie. Die Grundlagenforschung auf diesen Gebieten war und ist
Voraussetzung für die Entwicklung von vielen weiteren Teildisziplinen in
der Chemie. Das macht erneut das diesjährige Wissenschaftsforum Chemie
der GDCh deutlich, das mit einigen Highlights aus der anorganisch- und
organisch-chemischen Forschung aufwartet. Nach der Eröffnung am Sonntag,
1. September, mit einem Vortrag zu Energiespeicher-Materialien, kommen
am Montag, 2. September, sogleich Anorganiker und Organiker zu Wort. Das
hochka
rätige Programm beginnt mit der Verleihung des Wilhelm-Klemm-Preises an
Professor Dr. Manfred Scheer, Institut für Anorganische Chemie der
Universität Regensburg.

Scheer
hat zahlreiche innovative Arbeiten zur Molekülchemie und
supramolekularen Chemie insbesondere von Phosphor, Arsen und Antimon,
sowie zu Übergangsmetall-Element-Mehrfachbindungen publiziert.
Hervorzuheben sind seine Arbeiten über anorganische Fulleren-artige
Polyeder. Weiterer Schwerpunkt seiner Arbeiten ist die Synthese von
Substituenten-freien, gemischten Ligandenkomplexen der Elemente der 13.
und 15. Gruppe und die Aktivierung von weißem Phosphor, ein Thema, das
wieder viel beachtet wird. Scheer wurde 1955 im brandenburgischen
Jüterbog ge
boren und studierte in Halle Chemie, wo er sich – nach Aufenthalten als
Postdoktorand an der Russischen Akademie der Wissenschaften in
Novosibirsk und als Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für
Kohlenforschung in Mülheim – 1992 habilitierte. Nach einer Gastprofessur
an der Indiana University in Bloomington, war er ab 1993 – erst als
Heisenberg-Stipendiat, dann als C3-Professor – an der Universität
Karlsruhe tätig. 2004 nahm er den Ruf nach Regensburg an.

Weitere Auszeichnungen, Vorträge u.a. zu Seltenerdmetallen und zur CO2-Nutzung, sowie ein kleines Jubiläum

In
„Highlights aus der Anorganischen Chemie“ werden am 3. September der
Arfvedson-Schlenk-Preis an Professor Dr. Robert Emmet Mulvey, University
of Strathclyde, Glasgow, und die Hermanos Elhuyar – Hans
Goldschmidt-Vorlesung an Professor Dr. Antoni Llobet, Universitat
Autònoma de Barcelona, verliehen. Der Arfvedson-Schlenk-Preis, benannt
nach Gustav Arfvedson, der 1817 das Element Lithium entdeckte, und
Wilhelm Schlenk, der als Erster Organolithiumverbindungen herstellte,
wird für herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Lithiumchemie
vergeben und von der Rockwood Lithium GmbH finanziert. Die
Preiskommission erachtet Mulvey für den z.Zt. meistzitierten und
sichtbarsten Lithiumchemiker weltweit. Seine Arbeiten sind jedoch weit
umfassender: Er synthetisiert alkali- und erdalkalimetallorgani
sche Verbindungen, um diese in der organischen Synthese in bislang
unerreichter Weise nutzbar zu machen. So gelingt es ihm, mit der
„Mixed-Metal Metallation Chemistry“, die er nach der Preisverleihung in
einem Vortrag vorstellt, die äußerst stabilen
Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindungen in bislang nicht zugänglichen Regionen
und mit ungeahnter Toleranz gegenüber anderen funktionalen Gruppen in
synthetisch nutzbare Kohlenstoff-Metall-Bindungen umzuwandeln. Dies ist
für die Herstellung von Feinchemikalien und Pharmazeutika von
unschätzbarem Wert.

Ein
Ansatz zur zukünftigen Nutzung der Sonnenenergie besteht in der
lichtgetriebenen Spaltung von Wasser zu Sauerstoff und Wasserstoff,
deren Zusammenführung in
Brennstoffzellen Energie liefert. Damit dies effizient erfolgen kann,
sind Katalysatoren erforderlich. Llobet berichtet in Darmstadt, in der
mit der Real Sociedad Española de Quimica auf Gegenseitigkeit
eingerichteten Namensvorlesung, über Katalysatoren für die Oxidation von
Wasser zu molekularem Sauerstoff. Der schwierige Schritt, die
Sauerstoff-Sauerstoff-Bindung zu bilden, gelingt Llobet mit
Ruthenium-Komplexen, die zwei Wassermoleküle in geeigneter Form
zusammenführen. Wie die Reaktion genau abläuft, untersucht er dabei mit
elektrochemischen und spektroskopischen Methoden.

Weitere
Poly-Elementverbindungen und bio-anorganische Themen bis hin zur
Stickstoff-Fixierung werden auch in anderen Vorträgen der Sessi
on der Wöhler-Vereinigung für Anorganische Chemie, einer
GDCh-Fachgruppe, behandelt. Besonders spannend wird es in der Session
„Dialog in Anorganischer Chemie“ zugehen, die die Wöhler-Vereinigung
gemeinsam mit der GDCh-Fachgruppe Festkörperchemie und Materialforschung
bestreitet; denn Anorganiker und Festkörperchemiker gehen häufig mit
unterschiedlichen Sichtweisen und Fragestellungen – die einen
molekülchemisch, die anderen materialchemisch – an ähnliche
Forschungsthemen heran. Das gilt beispielsweise auch für Verbindungen
der Seltenerdmetalle, die derzeit wegen ihrer Verfügbarkeit für
elektronische Geräte immer mehr ins Licht der Öffentlichkeit geraten.
Professor Dr. Reiner Anwander, Tübingen, und Professor Dr. Gerd Meyer,
Köln, betrachten in ihren Vorträgen ganz unterschiedliche Sichtweisen zu
Seltenerdmetall-Verbindungen. Daneben wird die Rolle des Elements
Stickstoff und seine Umwandlung zu Ammoniak in molekularen
Metallkomplexen beleuchtet. Das festliche Ende bildet der Vortrag des Gr
andseigneur der Festkörperforschung, Professor Dr. Arndt Simon,
Stuttgart, zum 50-jährigen Jubiläum der Fachgruppe Festkörperchemie und
Materialforschung. Sie wurde am 9. September 1963 unter dem Namen
„Halbleiterchemie“ gegründet. Neun Jahre später gab es die Umbenennung
in „Festkörperchemie“. Unter dem Vorsitz von Professor Dr. Albrecht
Rabenau (Philips Forschungslabor) fand 1972 in Aachen die erste Tagung
der Fachgruppe gemeinsam mit der Koninklijke Nederlandse Chemische
Vereniging statt. 1999 erfolgte die Erweiterung des Namens auf
„Festkörperchemie und Materialforschung“.

Von besonderer Aktualität ist die Session „CO2 für die chemische und energetische W
ertschöpfung“, die die Wöhler-Vereinigung gemeinsam mit der
Liebig-Vereinigung für Organische Chemie, ebenfalls eine
GDCh-Fachgruppe, bestreitet. Neben hochkarätigen Vortragenden aus den
USA, Kanada und Großbritannien berichtet Dr. Michael Limbach vom
Catalysis Research Laboratory (CaRLa), das gemeinsam von der Universität
Heidelberg und der BASF betrieben wird, über ein mögliches
katalytisches Verfahren, zur Synthese von Acrylaten aus CO2 und Alkenen. Acrylate und deren Folgeprodukte werden weltweit auf Basis
der Erdölchemie in einer Größenordnung von mehreren Millionen Tonnen
erzeugt. Die katalytische Synthese von Acrylaten aus CO2 und
Alkenen schien bis Ende der 1980er Jahre, als es einen ersten Durchbruch
in der Forschung gab, ein unlösbares Problem. Auf Basis dieser und
weiterer Forschungsarbeiten wurde am CaRLa ein homogenes
Katalysatorsystem entwickelt, das Potenzial für die großtechnische
Acrylatherstellung hat. Professor Dr. Donald J. Darensberg von der Texas
A&M Univ
ersity zeigt, dass es mit speziellen Übergangsmetallkatalysatoren auch
gelingen kann, aus CO2 und Epoxiden oder Oxetanen, also cyclischen Ethern, Polycarbonate herzustellen. Und über den Stand der Forschung, aus CO2 und Wasser so genannte Solarbrennstoffe herzustellen, gibt Professor
Dr. Andrew B. Bocarsly, Princeton University, New Jersey, in seinem
Vortrag „Catalytic Photoelectrochemical and Electrochemical Generation
of Alcohols“ einen Überblick.

Gemeinsam
mit der GDCh-Fachgruppe Nachhaltige Chemie zeigt die Liebig-Vereinigung
in einer weiteren Session neue Wege auf, um die Effizienz der
organisch-chemischen Synthese zu verbessern. In diesen Vorträgen spielen
wiederum neue K
atalysatorsysteme die Hauptrolle. Daneben geht es aber auch um moderne
Mikrowellenverfahren und um das Leitprinzip in der industriellen
Forschung: die Nachhaltigkeit.

In
drei weiteren Sessions stellt die Liebig-Vereinigung aktuelle
organisch-chemische Forschungsthemen vor. Beispielhaft seien genannt:
neue Synthesestrategien für halbleitende Polymere, die in OLEDs (organic
light emitting diodes), Organischen Solarzellen oder
Dünnfilm-Transistoren Anwendung finden; neue Anwendungen für
Curcurbiturile, Supramoleküle, deren Name aufgrund ihrer Struktur vom
botanischen Namen für Kürbis abgeleitet wurde und die ein interessantes
Wirt-Gast-Verhalten zeigen; neue chemisch modifizierte
Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die für
bildgebende Verfahren in der Medizin und Biologie geeignet sein könnten.
Ein Vortrag ist besonders hervorzuheben: Es ist die Alexander Todd –
Hans Krebs-Vorlesung, die Namensvorlesung auf Gegenseitigkeit mit der
Royal Society of Chemistry, die in diesem Jahr Professor Dr. Harry L.
Anderson von der University of Oxford zuteil wird. Er stellt
Synthesewege für molekulare Drähte vor, die in der Nanotechnologie
(molekulare Elektronik) und in den Neurowissenschaften (elektrische
Signalübertragung in Neuronen) Anwendung finden sollen.

Ein
weiteres Highlight für Katalyseforscher und Synthesechemiker ist der
Plenarvortrag „Asymmetric Counteranion Directed Catalysis: A General
Approach to Enantioselective Syn
thesis“, zu Beginn des letzten Tagungstags. Professor Dr. Benjamin List
vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, Mülheim, berichtet anhand
von Beispielen über das neue Synthesekonzept.

Die
Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) ist mit über 30.000 Mitgliedern
eine der weltweit größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften. Alle
zwei Jahre veranstaltet sie die größte deutsche Chemietagung, das
Wissenschaftsforum, an wechselnden Orten – 2013 in Darmstadt. Die GDCh
vergibt bei dieser Veranstaltung zahlreiche Auszeichnungen. So stellt
bereits die Einladung zu einem Plenarvortrag eine Auszeichnung da, und
nur Chemiker von Rang und Namen werden zu Namensvorlesungen eingeladen.
Seit 1985 vergibt die
GDCh den Wilhelm-Klemm-Preis. Er erinnert an den Münsteraner
Chemieprofessor Wilhelm Klemm (1896 – 1985), der auf dem Gebiet der
anorganischen Chemie erfolgreich gearbeitet und diese auch international
vorangetrieben hat. Mit der Preisverleihung gewürdigt werden demnach
Chemiker/innen, die sich durch hervorragende Arbeiten Verdienste um die
anorganische Chemie erworben haben. Der Arfvedson-Schlenk-Preis wurde
von der Chemetall GmbH bei der GDCh für herausragende Arbeiten auf dem
Gebiet der Lithiumchemie eingerichtet und erstmals 1999 vergeben. Jetzt
erfolgt die Ausschreibung des Preises in Abstimmung mit der Rockwood
Lithium GmbH.

K
ontakt:

Dr. Renate Hoer