Kinderschutz: Denkfehler und Praxisirrtümer sind häufig

"Der folgende Bericht deutet plastisch darauf hin, wie schnell wissenschaftliche Ergebnisse
durch Praktiker fehlgeleitet werden können. Ich denke, das ist ein didaktisches
Problem: Wie sag ich es meinem Kinde, wobei meines Erachtens im Vorfeld die
Gefahren der Deutung solch wissenschaftlicher Ergenisse vorhersehbar sind, das h. jeder Wissenschaftler,
der etwas veröffentlicht, muss auch diese Kriterien intensiv im Auge
behalten." Ihr Jean Pütz

Kinderschutz: Denkfehler und Praxisirrtümer
sind häufig

Die Fehlerrisiken im Kinderschutz sind auch für
qualifizierte und engagierte Fachkräfte hoch. Daher werden strukturierte,
wissenschaftlich fundierte Einschätzungsverfahren immer häufiger eingesetzt. Ob
damit das Irrtumspotential im Kinderschutz signifikant reduziert wird, ist noch
offen. Dr. Heinz Kindler (Deutsches Jugendinstitut München) hat eine persönlich
gefärbte, reichhaltige Fehler-Übersicht zusammengestellt. Sie erschien im
Handbuch "Erfassung von Kindeswohlgefährdung in Theorie und
Praxis".
 
Als Beispiel alltäglicher Schwachstellen nennt Kindler die
sogenannte "Verfügbarkeitsheuristik": Eine Fachkraft sieht eine unspektakuläre
Problemfamilie und fühlt sich an ein desaströses Ereignis erinnert; letzteres
"koloriert" die aktuelle Beobachtung und löst eine Fehleinschätzung aus. Auf
diese Weise kann nach einem Todesfall die Bereitschaft zu Zwangsmaßnahmen
überproportional steigen.
 
Noch häufiger entwickeln sich
Fehlschlüsse, wenn die Fachkraft initial eine Arbeitshypothese aufstellt und im
Anschluss selektiv v.a. die Beobachtungen verarbeitet, die die Annahme zu
bestätigen scheinen; andere Informationen werden unterbewertet oder
ignoriert.
 
Immer wieder beobachtet Kindler eine "negative
Mobilisierung": Risiken werden stärker wahrgenommen als Chancen. Negative
Mobilisierung ist einerseits sinnvoll, da eine Gefährdung zu irreversiblen
Schädigungen bei Kindern führen kann. Daraus folgt u.U. die Entscheidung: Lieber
einmal zu oft ein Kind Inobhut nehmen als einmal zuwenig. Es wird nicht mehr
ernsthaft geprüft, ob eine weniger einschneidende Maßnahme angezeigt
wäre.
 
Kindler warnt allerdings vor dem Eindruck, "in der deutschen
Kinderschutzpraxis komme es im Alltag nur mit viel Glück nicht täglich zu
mehreren schwerwiegenden Fehlschlägen." Er sieht in kritischer Selbstreflexion
und interdisziplinärer Kollegialität optimale Chancen für eine
Qualitätssicherung.
 
H. Kindler: Denkfehler und andere Praxisirrtümer im
Kinderschutz.