Jean
Pütz fordert „hippokratischen Eid für Wissenschaftsjournalisten“
VonWolfgang Goede
Der
Erfinder der legendären „Hobbythek“ wurde im Ehrensaal des Deutschen Museums
mit dem Eduard-Rhein-Kulturpreis 2018 ausgezeichnet. Pütz ist TELI-Mitglied.
Eduard Rhein, ein begnadetes Multi-Talent des 20. Jahrhunderts, gehörte
ebenfalls der TELI an. Mit Blick auf die Innovationshöhe der
Preisträgerleistungen, Location und das Festambiente hat der
Wissenschafts-Event fast den Charakter eines Deutschen Nobelpreises.
In
seiner Begrüßung ehrte Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen
Museums, den Preisträger als „Ikone der Wissenschaftsvermittlung und des
Wissenschaftsjournalismus“. „Wir alle sind mit Jean Pütz und der Hobbythek
aufgewachsen“, sagte er. Heckl lobte den unterhaltsamen Ton von Pütz und seinen
Fernsehsendungen und schlug eine Brücke zum Deutschen Museum: „Bereits Oscar
von Miller, der Erbauer unseres Museums, wollte Wissen mit Spaß aufbereiten.“
Pütz’
Markenzeichen: Rausche-Schnurrbart
TV-Moderatorin
Nina Ruge führte durch den Festakt mit 150 Ehrengästen aus Wissenschaft,
Technologie und Kultur. Im Interview mit Jean Pütz hatte sie Mühe, den vor
Energie und Redelust überschäumenden Preisträger zu bändigen, der sich selbst
als „Rampensau“ bezeichnet. Mit seinem rauschigen Schnurrbart, so wie er
jahrzehntelang der Nation auf dem Bildschirm entgegengetreten war, ist der Mann
weiterhin ein ebenso vertrauter wie markanter Blickfang.
Pütz
betonte wiederholt die herausragend wichtige Rolle des
Wissenschaftsjournalismus in der Gesellschaft: „Unentbehrlich für die
Demokratie in Zeiten von Postfaktisch und Fake News1“, ließ sich der
Fernsehjournalist und Moderator im Festprogramm zitieren. Bad News in Good News
umzuwidmen, wie es im Reaktionsalltag so häufig geschehe, sei ein Irrweg, rief
er in den Saal. Stattdessen: „Journalisten müssen über den Tellerrand
hinausblicken, den Politikern die Leviten lesen, Zivilcourage zeigen.“ Als
Beispiel für seine Kritik nannte er die Dieseldebatte und „die Verteufelung des
effizientesten aller Motoren mit schwachsinnigen Grenzwerten“.
Pütz‘
Credo #1: Bürger beteiligen an der Wissenschaft!
Insbesondere
Journalisten seien der Wahrheit verpflichtet, verlangte der
Eduard-Rhein-Preisträger. „Indem wir nur das schreiben, was wir auch begriffen
haben“, präzisierte er und setzte seiner Forderung das i-Tüpfelchen auf: „Wir brauchen
einen hippokratischen Eid für Wissenschaftsjournalisten!“
Seine
Kultsendung Hobbythek, 350mal gesendet in 30 Jahren, nannte Pütz „ein
trojanisches Steckenpferd“. Mit Alltagsbeispielen aus Wissenschaft und Technik,
demonstriert mit unterhaltsamen Experimenten, wollte er Lust auf Wissenschaft
machen und zum Selbermachen animieren. Dies mit der demokratischen Überzeugung,
dass Wissenschaft Herrschaftswissen bleibe, „wenn der Mensch nicht beteiligt
wird, damit er verstehen kann“. Dabei dürften viele erkennen, dass „sie
schlauer sind, als sie bisher dachten“.
Pütz’
Credo #2: Naturwissenschaftliche Bildung – Grundlage der Demokratie!
„Ich
stinke gegen das Postfaktische bereits seit 15 Jahren an“, erklärte Pütz, in
Anspielung auf US-Präsident Trump. Und mit Bezug auf unsere moderne
technologiegetriebene Zivilisation: „Wenn wir dem Turmbau zu Babel nicht mit
Vernunft beikommen, stürzt er zusammen.“ Naturwissenschaftliche Bildung und
Logik seien die Grundlage der Demokratie. Sonst müsse man alles glauben, was
einem vorgesetzt werde, und werde anfällig für Demagogie.
Die
Laudatio auf Jean Pütz hielt Norbert Lossau, Ressortleiter Wissenschaft bei der
Welt-Gruppe. Er umriss des Preisträgers journalistisches Lebenswerk mit
insgesamt 3000 TV-Sendungen über Wissenschaft und Technik, dazu 80
populärwissenschaftliche Bücher mit einer Auflage von mehr als sechs Millionen.
Lossau verwies auch auf Pütz‘ Verdienste um die Wissenschaftspressekonferenz
WPK als Mitgründer und dreizehn Jahre lang als Vorsitzender. Derzeit toure er
mit der Pütz-Munter-Show durchs Land und begeistere Groß und Klein mit seinen
Experimenten. Bei Facebook sei er ein Medienereignis mit 35.000 Followern2.
Rhein:
Erfinder und ein großer Blattmacher
Jean
Pütz ist gelernter Ingenieur mit wissenschaftlich-technischem Durchblick,
leidenschaftlicher Journalist und unermüdlicher Aufklärer, mit
scharf-analytischem Blick auf die Probleme im Grenzgebiet von Wissenschaft und
Gesellschaft. Mit seinen mittlerweile 82 Jahren, mit denen er gerne ein wenig
kokettiert, versprüht er die Energie einer ganzen Redaktionsmannschaft. Seit
langem ist er auch ein treues Mitglied der TELI, der weltältesten Organisation
von Technik- und Wissenschaftsjournalisten, die ihm auf diesem Wege ganz
herzlich zum mit 10.000 Euro dotierten Eduard-Rhein-Kulturpreis gratuliert.
Mitglied
der 1929 in Berlin gegründeten TELI war auch Eduard Rhein, der 1936 aufgenommen
worden war3. Erfinder und Journalist, Künstler und Schriftsteller,
ein begnadetes Multi-Talent. Als Begründer der Hörzu mit Auflagenspitzen von
4,5 Millionen gehört er zusammen mit Henri Nannen, Rudolf Augstein und Axel
Springer zu den großen Blattmachern der Bundesrepublik.
Stiftungspreisträger:
Zuse, Maddox, Fest, Berners-Lee
Mit
technischer Raffinesse verdoppelte er die Abspieldauer der Langspielplatte und
machte damit ein Vermögen, mit dem er die Eduard-Rhein-Stiftung ins Leben rief4.
Mit einem Kapital von zehn Millionen Euro gilt sie als größte europäische
Stiftung für Informationstechnologie.
Seit
1979 vergibt sie Preise an bedeutende IT-Pioniere, darunter Konrad Zuse (1995),
den WWW Schöpfer Tim Berners-Lee (1998), MP3-Erfinder Karl-Heinz Brandenburg
(2015, der auch dem 2018-Festakt beiwohnte). Zu den Kulturpeisträgern gehören
außer Pütz der Tagesthemen-Moderator Joachim Friedrichs (1987 Sonderpreis),
TV-Quizmaster Hans-Joachim Kuhlenkampff (1989), Nature-Chefredakteur Sir John
Maddox (1997), der Publizist Joachim Fest (1999), Sendung-mit-der-Maus-Erfinder
Armin Maiwald (2002), Wikipedia-Begründer Jimmy D. Wales (2010). Der
Preisstifter starb 1993 im Alter von 93 Jahren, bis zuletzt prominent im
öffentlichen Leben stehend.
Perspektive:
Junge Wilde am Start
Den
Technologiepreis 2018 erhielt der Inder Rajiv Laroia für seine Verdienste um
die Fortentwicklung des Mobilfunks in der vierten Generation. Mit dem
Stiftungs-Jugendpreis wurden im Rahmen von Jugend forscht Lukas Ruf und Mai
Saito ausgezeichnet für die „Don’t Spy – Sichere Kommunikation im Team“
Software; außerdem Jonas Wanke und Yorick Zeschke für ein akustisches
Navigationssystem. Letzterer, 15 Jahre jung und sehbehindert, überzeugte mit
beeindruckender technischer Detailkenntnis und starker öffentlicher Präsenz.