Erstes Plasma: Fusionsanlage Wendelstein 7-X in Betrieb gegangen
Erfolgreicher Start mit Helium-Plasma / Anfang 2016 werden Plasmen aus Wasserstoff folgen
10. Dezember 2015
Fusionsanlage Wendelstein 7-X im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
(IPP) in Greifswald das erste Helium-Plasma erzeugt. Damit hat nach gut
einem Jahr technischer Vorbereitungen und Tests der Experimentierbetrieb
planmäßig begonnen. Wendelstein 7-X, die weltweit größte Fusionsanlage
vom Typ Stellarator, soll die Kraftwerkseignung dieses Bautyps
untersuchen.
Nach neun Jahren Bauzeit und über einer Million Montagestunden wurde
im April 2014 die Hauptmontage von Wendelstein 7-X abgeschlossen.
Seither liefen die Betriebsvorbereitungen. Nacheinander wurden alle
technischen Systeme geprüft – das Vakuum in den Gefäßen, das Kühlsystem,
die supraleitenden Spulen, das von ihnen erzeugte Magnetfeld, das
Steuersystem sowie die Heizapparaturen und Messgeräte. Am 10. Dezember
war es soweit: Im Kontrollraum fuhr die Betriebsmannschaft das
Magnetfeld hoch und startete die computergeregelte Experiment-Steuerung.
Sie speiste rund ein Milligramm Heliumgas in das ausgepumpte
Plasmagefäß ein, schaltete die Mikrowellenheizung für einen kurzen 1,3
Megawatt-Puls an – und im Visier der eingebauten Kameras und Messgeräte
zeigte sich das erste Plasma. „Wir beginnen mit einem Plasma aus dem
Edelgas Helium. Erst im nächsten Jahr wechseln wir zu dem eigentlichen
Untersuchungsobjekt, einem Wasserstoff-Plasma“, erläutert Projektleiter
Professor Dr. Thomas Klinger: „Denn mit Helium ist der Plasmazustand
leichter zu erreichen. Außerdem können wir mit Helium-Plasmen die
Oberfläche des Plasmagefäßes reinigen“.
Das erste Plasma in der
Maschine dauerte eine Zehntel-Sekunde und erreichte eine Temperatur von
rund einer Million Grad. „Wir sind sehr zufrieden“, fasst Dr.
Hans-Stephan Bosch, dessen Bereich für den Betrieb von Wendelstein 7-X
zuständig ist, den Verlauf des ersten Experimentiertags zusammen: „Alles
lief wie vorgesehen“. Als nächstes will man die Dauer der
Plasmaentladungen verlängern und untersuchen, wie die Helium-Plasmen
durch Mikrowellen am besten zu erzeugen und aufzuheizen sind. Nach einer
Pause zum Jahreswechsel geht es im Januar mit Einschlussstudien weiter,
die das erste Plasma aus Wasserstoff vorbereiten.
Hintergrund
Ziel der Fusionsforschung ist es, ein klima- und umweltfreundliches
Kraftwerk zu entwickeln. Ähnlich wie die Sonne soll es aus der
Verschmelzung von Atomkernen Energie gewinnen. Weil das Fusionsfeuer
erst bei Temperaturen über 100 Millionen Grad zündet, darf der
Brennstoff – ein dünnes Wasserstoffplasma – nicht in Kontakt mit kalten
Gefäßwänden kommen. Von Magnetfeldern gehalten, schwebt er nahezu
berührungsfrei im Inneren einer Vakuumkammer. Für den magnetischen Käfig
haben sich zwei verschiedene Bauweisen durchgesetzt, Tokamak und
Stellarator. Beide Anlagentypen werden im IPP untersucht: In Garching
läuft der Tokamak ASDEX Upgrade, in Greifswald seit heute der
Stellarator Wendelstein 7-X.
Gegenwärtig traut man nur einem Tokamak – dem internationalen
Testreaktor ITER, der in weltweiter Zusammenarbeit zurzeit in Cadarache
aufgebaut wird – ein energielieferndes Plasma zu. Wendelstein 7-X, die
weltweit größte Fusionsanlage vom Typ Stellarator, wird keine Energie
erzeugen. Trotzdem soll die Anlage beweisen, dass auch Stellaratoren
kraftwerkstauglich sind. Mit Wendelstein 7-X soll die Qualität von
Plasmagleichgewicht und -einschluss erstmals der eines Tokamaks
ebenbürtig werden. Und mit 30 Minuten langen Entladungen soll die Anlage
das wesentliche Plus der Stellaratoren vorführen, die Fähigkeit zum
Dauerbetrieb. Dagegen können Tokamaks ohne aufwändige Zusatzmaßnahmen
lediglich in Pulsen arbeiten.
Die Montage von Wendelstein 7-X begann im April 2005: Ein Ring aus 50
supraleitenden, etwa 3,5 Meter hohen Magnetspulen ist das Kernstück der
Anlage. Ihre speziellen Formen sind das Ergebnis ausgefeilter
Optimierungsrechnungen der Abteilung „Stellarator-Theorie“ und ihrer
über zehnjährigen Suche nach einem besonders wärmeisolierenden
magnetischen Käfig. Die Spulen sind auf ein stählernes Plasmagefäß
aufgefädelt und von einer ringförmigen Stahlhülle umschlossen. In ihrem
luftleer gepumpten Innenraum werden die Spulen mit flüssigem Helium auf
Supraleitungstemperatur bis nahe an den absoluten Nullpunkt abgekühlt.
So verbrauchen sie nach dem Einschalten kaum Energie. Der von ihnen
erzeugte Magnetfeldkäfig hält im Inneren des Plasmagefäßes das
Forschungsobjekt der Wissenschaftler in Schwebe, das 30 Kubikmeter
füllende ultra-dünne Plasma.
Die von Bund, Land und EU getragenen Investitionskosten für
Wendelstein 7-X beliefen sich auf 370 Millionen Euro. Die Bauteile
fertigten Firmen in ganz Europa; Aufträge im Wert von weit über 70
Millionen gingen an Unternehmen in der Region. Zahlreiche
Forschungseinrichtungen im In- und Ausland waren am Aufbau der Anlage
beteiligt. So trug im Rahmen der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher
Forschungszentren das Karlsruher Institut für Technologie die
Verantwortung für die Mikrowellen-Plasmaheizung; das Forschungszentrum
Jülich baut Messgeräte und fertigte die aufwändigen Verbindungen der
supraleitenden Magnetspulen. Den Einbau übernahmen Spezialisten der
Polnischen Akademie der Wissenschaften in Krakau. Die US-amerikanischen
Fusionsinstitute in Princeton, Oak Ridge und Los Alamos trugen u.a. mit
magnetischen Zusatzspulen und Messgeräten zur Ausrüstung von Wendelstein
7-X bei.
Isabella Milch