Forschung über seltene Erkrankungen

DGIM: Forschung über seltene Erkrankungen hilft viel mehr Menschen als nur den Betroffenen

Wiesbaden
– Wenn weniger als fünf von 10 000 Menschen von einer Krankheit
betroffen sind, gilt diese als selten. Derzeit gibt es mehr als 7 000
verschiedene seltene Erkrankungen. Alleine in Deutschland sind etwa vier
Millionen Menschen davon betroffen. Oft gibt es gegen seltene
Erkrankungen kaum Medikamente, ihre Erforschung ist teuer und schwierig.
Doch neue Erkenntnisse über sie helfen auch bei der Therapie anderer
Krankheitsbilder. Warum und wie wir von seltenen Erkrankungen lernen
können, erläutern Experten im Rahmen der Pressekonferenz der
Kooperativen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin
(DGIM) am 14. Oktober 2015 in Wiesbaden.

Nur
ein Bruchteil der seltenen Erkrankungen, beispielsweise die
Mukoviszidose oder die durch die Ice Bucket Challenge bekannte
Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), sind Menschen
außerhalb des medizinischen Fachs ein Begriff. Noch immer sind Patienten
mit einer seltenen Erkrankung häufig unzureichend versorgt. Oft
verlaufen ihre Erkrankungen schwer, sind schmerzhaft oder
lebensbedrohlich. Es fehlt an systematischen Therapien und Diagnostik.
„Bisher mangelt es oftmals schon am Grundverständnis für eine Krankheit,
sagt Professor Dr. Jürgen R. Schäfer vom Zentrum für unerkannte und
seltene Erkrankungen (ZusE) an der UKGM Uniklinik Marburg.
„Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Forschung wären sehr wichtig,
doch die Forschungsförderung bei seltenen Erkrankungen ist noch viel zu
gering.“ Dabei habe die Erforschung seltener Erkrankungen eine enorme
Bedeutung für das Verständnis und die Behandlung häufig auftretender
Krankheitsbilder. Denn das daraus gewonnene Wissen gelte oft für
verschiedenste grundlegende körperliche Vorgänge. Diese zu verstehen,
könne sich nicht nur für die Behandlung einzelner Patienten, sondern
auch für viele sogenannten Volkskrankheiten lohnen.

Professor
Schäfer führt ein Beispiel aus der Herz-Kreislauf-Forschung an: „Etwa
die Erforschung der homozygoten familiären Hypercholesterinämie (FH),
einer seltenen, erblich bedingten Fettstoffwechselstörung, war ein
großer Fortschritt für die Behandlung von Patienten mit Atherosklerose.“
Denn bei Menschen mit FH ist aufgrund eines Gendefektes der
Blutfettwert des „schlechten Cholesterin“ LDL extrem erhöht. Auch der
DGIM-Vorsitzende und Kardiologe Professor Dr. med. Gerd Hasenfuß aus
Göttingen betont: „Die Erkenntnis, dass ein defekter LDL-Rezeptor massiv
hohe LDL-Werte zur Folge hat, ist essentiell für unser Verständnis des
Herzinfarkts.“ Aus den Untersuchungen von FH-Patienten kamen
entscheidende, grundlegende Hinweise für die Notwendigkeit der
Entwicklung von blutfettsenkenden Medikamenten, etwa Statine. Das hat
erstmals die Möglichkeit geliefert, ursächlich gegen Herzinfarkte
vorzugehen.

Eine
weitere bisher noch ungenutzte Ressource sind ungewöhnliche
Krankheitsverläufe. Ein Beispiel hierfür sind Patienten, die wider
Erwarten Bauchspeicheldrüsenkrebs überleben – eine Krebserkrankung mit
sehr schlechten Aussichten auf Heilung oder aber auch Menschen wie
Altkanzler Helmut Schmidt, die immun gegen die schädlichen Effekte des
Rauchens zu sein scheinen. Diese Mechanismen zu erforschen und zukünftig
zu nutzen, wäre ein wichtiger Gewinn für die Medizin. Darüber, wie
neueste Erkenntnisse über seltene Erkrankungen auch anderen Patienten
helfen, diskutieren die Korporativen Mitglieder der DGIM im Rahmen der
Pressekonferenz anlässlich Ihres Herbstsymposiums am 14. Oktober 2015 in
Wiesbaden.