Erweiterte Grippe-Impfung gefordert

fzm – Wie gebannt wartet die deutsche Öffentlichkeit auf die ersten
Vogelgrippe-Erkrankungen beim Menschen. Dabei wird leicht übersehen,
dass bereits die normale Grippe hierzulande alljährlich 5.000 bis 8.000
Todesfälle fordert. Im Fall einer Pandemie, etwa durch ein genetisch
verändertes Virus, könnten es auch 96.000 Todesfälle werden. Deshalb
fordert der Virologe Professor Peter Wutzler von der Universität Jena
in der DMW Deutschen Medizinischen Wochenschrift (Georg Thieme Verlag,
Stuttgart. 2006) eine Ausweitung der Grippeschutzimpfung auf jüngere
Menschen, Kleinkinder und eventuell sogar Schwangere.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Grippeimpfung allen
Personen über 60 Jahre. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert
eine Impfrate von 50 Prozent, die in Deutschland fast erreicht wird (45
Prozent in der Saison 2002/2003). Darüber hinaus rät die STIKO zur
Impfung aller Menschen mit chronischen Erkrankungen. Hier liegt die
Impfrate in Deutschland nur bei 40 Prozent. Da viele chronische
Erkrankungen im späten Erwachsenenalter auftreten, regt Professor
Wutzler eine Senkung der Altersgrenze auf 50 Jahre an, die in den USA
bereits 1999 vorgenommen wurde. Dadurch würden auch die
Familienmitglieder und Betreuer dieser Menschen besser geschützt, so
Professor Wutzler.

Die höchste Erkrankungsrate an Grippe findet man nicht bei älteren
Menschen, sondern bei Säuglingen und Kleinkinder. Die Grippewelle
beginnt laut Professor Wutzler jedes Jahr an Kindergärten und Schulen,
bevor sich ältere Menschen anstecken. Kinder gelten als "Feuer der
Epidemie". Als Japan zwischenzeitig alle Schulkinder gegen Grippe
impfen ließ, starben 37.000 bis 49.000 ältere Menschen weniger daran.
Nachdem die Schul-Impfungen wieder aufgegeben wurden, stiegen die
Todesfälle bei älteren Menschen erneut an. In Deutschland wird die
Grippe-Impfung bei Kleinkindern mit Risikofaktoren empfohlen. Eine
Impfung ist erst nach dem sechsten Lebensmonat möglich. Deshalb wäre es
laut Professor Wutzler durchaus sinnvoll, wenn Schwangere, deren Kinder
während der Grippewelle zur Welt kommen, geimpft werden. Offiziell wird
dies aber nicht empfohlen.

Professor Wutzler rechnet übrigens damit, dass die Angst vor der
Vogelgrippe viele Menschen zur Grippeimpfung motivieren wird. Ob diese
Änderung nachhaltig sei, wenn das Medieninteresse wieder nachlässt,
bleibt abzuwarten. Eine Schlüsselstellung kommt Ärzten zu, wie eine
Telefonumfrage von Professor Wutzler gezeigt hat: Empfehlungen durch
Arzt oder Krankenschwester gehören zu den stärksten "Motivatoren" für
eine Impfung. Doch Ärzte und Krankenschwester gehen selten mit gutem
Beispiel voran. Die Impfrate liegt in dieser Gruppe sogar niedriger als
im Bevölkerungsdurchschnitt, obwohl die STIKO Ärzten und Personal zur
Impfung rät.

P. Wutzler et al.:

Influenza-Schutzimpfung – Wo steht Deutschland?

Deutsche Medizinische Wochenschrift 2006; 131 (9): 453-457