Ein neuer Dreh für die Nano-Elektronik
HZDR-Forschern gelingt gezielte Steuerung extrem kurzwelliger Spinwellen
In den vergangenen Jahren kannte die
Entwicklung in der elektronischen Datenverarbeitung nur eine Richtung:
Die Industrie verkleinerte die Bauteile bis in den Nanometerbereich.
Doch langsam stößt dieser Prozess an eine physikalische Grenze. Forscher
des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) arbeiten deswegen an
einer vielversprechenden Alternative, die den Informationstransport in
kompakteren Mikrochips ermöglichen soll: Spinwellen. In einer
internationalen Kooperation ist es ihnen gelungen, diese sogenannten
Magnonen mit extrem kurzen Wellenlängen zu erzeugen und sie gezielt zu
lenken. Wie die Physiker in der Zeitschrift Nature Nanotechnology (DOI: 10.1038/s41565-019-0383-4) erklären, nutzen sie dafür ein natürliches magnetisches Phänomen.
In der Welt der modernen Kommunikationstechnologien
galt eine Entwicklung lange Zeit als sicher: Etwa alle zwei Jahre
verdoppelt sich die Zahl der Transistoren auf einem Mikroprozessor. Die
damit einhergehende Leistungssteigerung bescherte uns die digitalen
Möglichkeiten, die mittlerweile wie selbstverständlich erscheinen: vom
Hochgeschwindigkeitsinternet bis zum Smartphone. Doch die zunehmend
feineren Leiterbahnen auf den Chips werden langsam zum Problem, wie Dr.
Sebastian Wintz vom HZDR-Institut für Ionenstrahlphysik und
Materialforschung erläutert: „In den derzeitigen Mikroprozessoren
fließen Elektronen. Aufgrund des elektrischen Widerstands heizen sie den
Chip auf. Ab einem gewissen Punkt versagen die Chips einfach, da die
Wärme nicht mehr abgeführt werden kann.“ Das verhindert auch eine
weitere Geschwindigkeitssteigerung der Bauteile.
Für den Physiker, der momentan auch am Paul
Scherrer Institut (PSI) in der Schweiz forscht, sehen die
Informationsträger der Zukunft deshalb anders aus. Anstatt auf bewegte
Ladungen setzen Wintz und seine Kollegen auf eine bestimmte Eigenschaft
der Elektronen: den Spin. Die winzigen Teilchen verhalten sich so, als
ob sie sich ständig um sich selbst drehen würden, was ein magnetisches
Moment erzeugt. In bestimmten magnetischen Materialien, wie etwa in
Eisen oder Nickel, sind die Spins für gewöhnlich parallel zueinander
ausgerichtet. Wird nun aber die Orientierung der Spins an einem Ort
geändert, setzt sich diese Störung über die benachbarten Teilchen fort.
Eine Spinwelle wird ausgelöst, in der sich Informationen codieren und
weitergeben lassen. „Die Elektronen bleiben in diesem Fall jedoch am
Fleck“, beschreibt Wintz den Vorteil. „Es entsteht so kaum Wärme.
Spin-basierte Bauteile könnten dadurch wesentlich weniger Energie
benötigen.“
Wie lässt sich die Welle bändigen?
Zwei grundlegende Herausforderungen erschweren den
Einsatz der Spinwellen allerdings bislang: Die erzeugbaren Wellenlängen
sind nicht kurz genug für die nanometer-kleinen Strukturen auf den Chips
und es fehlt an einer Möglichkeit, die Wellen gezielt zu steuern. Für
beide Probleme konnten die Forscher um Sebastian Wintz nun eine Lösung
finden. „Anders als bisher nutzen wir für die Anregung der Welle nicht
eine künstlich hergestellte Antenne, sondern eine im Material natürlich
geformte“, erklärt der Erstautor der Studie, Dr. Volker Sluka. „Dafür
haben wir zwei dünne ferromagnetische Plättchen in scheibenähnliche
Elemente strukturiert und mit einer Ruthenium-Trennschicht
antiferromagnetisch gekoppelt. Daneben haben wir das Material der
Plättchen so gewählt, dass sich die Spins bevorzugt entlang einer
bestimmten Raumachse ausrichten, wodurch sich die gewünschte magnetische
Struktur ergibt."
Innerhalb der beiden Schichten entstehen so
Bereiche mit unterschiedlichen Magnetisierungen, die eine sogenannte
Domänenwand voneinander trennt. Anschließend setzten die Wissenschaftler
die Schichten magnetischen Wechselfeldern mit einer Anregungsfrequenz
von einem Gigahertz oder mehr aus. Mit Hilfe eines Röntgen-Mikroskops
des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme, das am
Helmholtz-Zentrum Berlin betrieben wird, konnten sie beobachten, dass
sich Spinwellen mit parallelen Wellenfronten dabei senkrecht zur
Domänenwand ausbreiten. „Bei früheren Versuchen war die Ausstrahlung mit
einer Wasserwelle vergleichbar, die ein Steinwurf auslöst“, berichtet
Sluka. „Das ist nicht optimal, da die Ausbreitung in alle Richtungen die
Schwingung schnell abschwächt. Jetzt sehen die Wellen dagegen so aus,
um im gleichen Bild zu bleiben, als würde man einen langen Stab im
Wasser hin und her bewegen.“
Wie die Röntgenaufnahmen gezeigt haben, können
diese Spinwellen bei Wellenlängen von nur etwa 100 Nanometern mehrere
Mikrometer zurücklegen, ohne signifikant an Signal zu verlieren – eine
nötige Bedingung für den Einsatz in moderner Informationstechnologie.
Einen möglichen Weg, diese neuartigen Informationsträger gezielt zu
lenken, haben die Physiker darüber hinaus entdeckt, als sie die
Anregungsfrequenz unter ein halbes Gigahertz setzten. Hier bleiben die
Spinwellen in der Domänenwand gefangen: „Die Wellen können in diesem
Fall sogar um die Kurve laufen“, erzählt Volker Sluka und fügt an:
„Trotzdem können wir die Signale immer noch detektieren.“ Mit ihren
Ergebnissen liefern die Forscher somit wichtige Voraussetzungen für die
weitere Entwicklung von Schaltkreisen, die auf Spinwellen basieren.
Das könnte langfristig sogar ein komplett anderes
Design von Mikroprozessoren ermöglichen, schätzt Sebastian Wintz ein:
„Wir können die Domänenwände mit Hilfe von Magnetfeldern relativ einfach
verschieben. Das bedeutet, dass Chips, die mit Spinwellen arbeiten,
nicht unbedingt eine im Vorhinein festgelegte Architektur bräuchten,
sondern später verändert und an neue Herausforderungen angepasst werden
könnten.“
Publikation:
V. Sluka, T. Schneider, R.A. Gallardo, A. Kákay, M.
Weigand, T. Warnatz, R. Mattheis, A.Roldan-Molina, P. Landeros, V.
Tiberkevich, A. Slavin, G. Schütz, A. Erbe, A. Deac, J. Lindner, J.
Raabe, J. Fassbender, S. Wintz: Emission and propagation of 1D and 2D
spin-waves with nanoscale wavelengths in anisotropic spin textures, in Nature Nanotechnology, 2019 (DOI: 10.1038/s41565-019-0383-4)