OP-Zahlen entsprechen Altersentwicklung der Gesellschaft:
wann Eingriffe an Hüfte, Knie und Wirbelsäule sinnvoll sind
Berlin
– Jedes Jahr werden Millionen Deutsche wegen einer orthopädischen
Erkrankung operiert. Manchmal wird kritisiert, es werde zu schnell zum
Skalpell gegriffen. Das Gegenteil ist der Fall: In der Regel wird erst
operiert, wenn alle Alternativen ausgeschöpft sind. Auf dem Deutschen
Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) 2017 erklären
Experten, wann Operationen sinnvoll oder sogar dringend notwendig sind
und wie aktuelle OP-Zahlen zu bewerten sind.
OECD-Studie: Falsch gerechnet?
Laut
OECD-Studie aus dem Jahr 2013 (1) ist Deutschland mit 15 Millionen
Wirbelsäulenoperationen pro Jahr Spitzenreiter auf diesem Gebiet.
Seitdem stehen orthopädische Eingriffe immer wieder in der Kritik. „Die
Autoren haben aber nicht die tatsächlichen Operationen gezählt, sondern
die Anzahl der Prozeduren-Schlüssel (OPS-Codes), die im deutschen
Gesundheitssystem die Grundlage für die Leistungsabrechnung bilden,“
kritisiert Professor Dr. med. Christian Knop, Präsident der Deutschen
Wirbelsäulengesellschaft (DWG). Mit diesen Codes würden aber auch die
Einzelschritte einer Operation abgebildet. „Das ist, als würde man im
Fußball nicht die geschossenen Tore zählen, sondern die Anzahl der
Ballkontakte, die zum Tor geführt haben.“ Zudem berücksichtigt die
Publikation nicht den Altersdurchschnitt in den jeweiligen Ländern: In
Deutschland leben vergleichsweise mehr ältere Menschen. Dies führt
zwangsläufig zu mehr Operationen, da viele orthopädische Erkrankungen
verschleißbedingt sind. Berücksichtigt man das nationale
Durchschnittsalter, liegt Deutschland mit der Anzahl der Operationen nur
im Mittelfeld (2).
Gegen Schmerzen: Kunstgelenk versus Schmerzmittel
Auch
bei den Kunstgelenken ist die Zahl der Eingriffe in den letzten zwölf
Jahren etwa konstant geblieben. „Wenn Medikamente, Bewegung und
Physiotherapie nicht mehr helfen, ist eine Endoprothese für Senioren oft
die letzte Möglichkeit, ihren Lebensabend schmerzfrei und beweglich zu
genießen“, sagt Professor Dr. med. Andrea Meurer, Kongresspräsidentin
des DKOU 2017. In den Vereinigten Staaten wird zwar weniger operiert,
dafür aber mehr Schmerzmittel verschrieben. Dadurch sind viele Patienten
von Opiaten abhängig. „In den USA sterben mehr Menschen an einer
unbeabsichtigten Überdosierung von Schmerzmitteln als an Überdosierungen
von Kokain und Heroin zusammengenommen“, so Meurer (3). „Aufgrund der
Kritik an den Operationszahlen entscheiden sich mittlerweile auch
hierzulande manche Patienten gegen eine Operation, sogar dann, wenn
diese aus medizinischer Sicht notwendig wäre“, ergänzt Knop und warnt
vor falschen Schlüssen.
Wann operieren?
Bei
Traumata, Tumoren, Infektionen oder krankhaften Verformungen der
Wirbelsäule ist eine Operation häufig notwendig und kann
lebensverlängernd sein. Wenn deutliche Lähmungen und Taubheitsgefühl
auftreten oder Blase und Darm den Dienst versagen, sollte das Skalpell
zum Einsatz kommen. Starke Schmerzen, die den Betroffenen im Alltag
einschränken, können ebenfalls Anlass für eine Operation sein –
vorausgesetzt, dass die nicht-chirurgischen Maßnahmen ausgeschöpft sind
und der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten den Eingriff
zulässt. „Hat der Patient Zweifel, ob eine OP das richtige für ihn ist,
sollte er sich bei einem anderen Orthopäden oder Unfallchirurgen eine
zweite Meinung holen“, sagt Meurer.