Einfluss der Gene auf chronische Krankheiten neu erforscht

Zwillingsforschung zum Einfluss der Gene

DGRh: Erbanlagen und Lebensstil beeinflussen Rheuma

Berlin
– Mit Ausnahme eineiiger Zwillinge nach ihrer Geburt haben wohl keine
zwei Menschen auf der Welt das gleiche Immunsystem. Entsprechend
unterschiedlich fällt die Reaktion auf Impfstoffe oder Krankheitserreger
aus, ebenso die Neigung zu Allergien oder Autoimmunerkrankungen.
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen gehen auf eine Fehlfunktion des
Immunsystems zurück – und auch hier entscheidet die erblich festgelegte
Immunausstattung mit darüber, ob eine Rheumaerkrankung ausbricht oder
nicht – und wie stark sie ausfällt. Wie groß ist jedoch der genetische
Einfluss und welche anderen Faktoren spielen dabei eine Rolle? Darüber
sprachen Experten auf dem 46. Kongress der Deutschen Gesellschaft für
Rheumatologie (DGRh), der vor kurzem in Mannheim stattfand.

Entscheidend
für die Funktion oder Fehlfunktion des Immunsystems ist eine Gruppe von
zwölf Genen, die für die so genannten HLA-Antigene auf der Oberfläche
von Immunzellen codieren. Sie bestimmen wesentlich darüber, worauf das
Immunsystem reagiert und wie heftig die Reaktion ausfällt. Die HLA-Gene
kommen in einer Vielzahl unterschiedlicher Ausprägungen vor und werden
jeweils zur Hälfte vom Vater und von der Mutter vererbt. „Die
Kombination dieser Gene ist entscheidend für die Infektabwehr und die
Entstehung von überschießenden Immunantworten, wie wir sie bei
Autoimmunerkrankungen sehen“, sagt Professor Dr. med. Hanns-Martin
Lorenz, Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum
Heidelberg und Präsident der DGRh.

In
den letzten Jahren sind Zusammenhänge zwischen dem individuellen
HLA-Profil und so unterschiedlichen Erkrankungen wie Typ-1-Diabetes,
Zöliakie oder eben entzündlich-rheumatischen Erkrankungen aufgedeckt
worden. Als Beispiel nennt Lorenz den Morbus Bechterew, bei dem der
rheumatische Entzündungsprozess unter anderem die Gelenke der
Wirbelsäule angreift und dazu führt, dass diese versteifen. „95 Prozent
der Morbus-Bechterew-Patienten besitzen die Genvariante HLA-B27“,
erläutert Lorenz. In der hiesigen Gesamtbevölkerung komme diese Variante
aber nur zu zehn bis fünfzehn Prozent vor.

So
deutlich dieser Zusammenhang ist – die Morbus-Bechterew-Forschung
belegt auch, dass das Vorhandensein von HLA-B27 alleine nicht ausreicht,
um die Krankheit entstehen zu lassen. Denn nur jeder zehnte Genträger
erkrankt tatsächlich an Morbus Bechterew. „Offensichtlich sind
zusätzliche Faktoren notwendig, damit die Krankheit zum Ausbruch kommt“,
sagt DGRh Präsident Lorenz. Als Auslöser kämen zum Beispiel Infektionen
mit bestimmten Viren oder Bakterien infrage, die das Immunsystem
zusätzlich aktivierten und so die Krankheit provozierten.

Auch
Studien mit eineiigen Zwillingen – den einzigen Menschen, die dieselben
HLA-Gene besitzen – belegen die Grenzen des genetischen Einflusses:
Zwillingsgeschwister von an Rheuma erkrankten Menschen haben zwar ein
deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko. Tatsächlich erkrankt der zweite
Zwilling bei den klassischen Autoimmunerkrankungen aber in weniger als
der Hälfte der Fälle. Neben Infektionen spielt hier auch der Lebensstil
eine Rolle. So haben Raucher zum Beispiel ein höheres Rheumarisiko als
Nichtraucher. „Die Bedeutung des Lebensstils – und damit auch der
Eigenverantwortung der Patienten – wird immer deutlicher“ sagt Lorenz.
Epigenetik ist ein recht neues Forschungsfeld, das die Regulation der
Genaktivierung erforscht. Auch hier zeigen sich immer mehr interessante
Korrelationen zu entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, erläutert der
Experte. „Das nährt die Hoffnung, dass das Verständnis der Entstehung
wächst und sich daraus vielleicht auch Therapiemöglichkeiten ergeben“.