fzm – Jede Krankheit ist charakterisiert durch eine Reihe mehr oder weniger spezifischer Symptome sowie durch Ergebnisse einschlägiger Untersuchungen. Es ist daher nahe liegend, eine Diagnose der Erkrankung eines Patienten von einem Computer vorschlagen zu lassen, wenn man nur die "richtigen" Symptome und Befunde eingibt. Erinnert sei an die "Thieme-Datenbank Diagnosis"“, die Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit weit über tausend klinischen Diagnosen entwickelt wurde. Schon bald entstanden an der Harvard-Universität und an anderen Stellen mehr oder weniger ausgeklügelte medizinische Expertensysteme (Medical Decision Support). Aber sie haben sich, abgesehen von by-products, nicht bewährt. Ein Aufsatz in der Zeitschrift "Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2006) berichtet über ein neu entwickeltes Expertensystem, in dem 400 Diagnosen aus den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie hinterlegt sind. Der Benutzer kann, wie bei den früheren Systemen, Leitsymptom, Verlauf und Symptome der Erkrankung eingeben. Daraus berechnet das Programm mögliche Differenzialdiagnosen, stellt Nachfragen zu weiteren Symptomen und fordert zur Durchführung zielgerichteter Zusatzdiagnostik auf. Mögliche Einsatzgebiete des Systems sind neben der Hilfestellung bei diagnostischen Fragestellungen die Schulung differenzialdiagnostischer Überlegungen oder einfach als digitales interdisziplinäres Nachschlagewerk.
Die Konzipierung des Expertensystems Neurologie erfolgte unter dem Grundgedanken, einen Benutzer mit einem diagnostischen Problem bei der weiteren klinischen und apparativ diagnostischen Befunderhebung zu leiten und ihm differenzialdiagnostische Wege aufzuzeigen. Jedes Symptom erhält einen Faktor, der beschreibt, wie sehr das Vorhandensein oder Fehlen des Symptoms bei dem entsprechenden Krankheitsbild für oder gegen die Stellung einer bestimmten Diagnose spricht. Probleme ergeben sich unter anderem bei gleichzeitigem Vorliegen verschiedener Krankheitsbilder, wobei sich die Symptome zum Teil widersprechen können. Die Verwendung des Expertensystems entbindet jedoch den Anwender keinesfalls von eigenem kritischem Denken.
A. Bickel:
Ein Expertensystem für das Fachgebiet Neurologie – Möglichkeiten und Grenzen
Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie 2006; 74 (12): S. 723-731