Die Versöhnung des linearen Fernsehens mit der Zukunft
„Heute ist Fernsehen überall”
Am 28.10.2016 ging der Relaunch des ZDFs
online: ZDF.de und die Mediathek verschmolzen zu einer Einheit. Im
Rahmen der Münchner Medientage beschäftigten sich am 26. Oktober
hochkarätige Expertinnen und Experten auf einem Panel damit, was die
digitale Transformation für die öffentlich-rechtliche Medienlandschaft
und diese Vorlage des ZDFs für alle Medienhäuser bedeutet. Eingeladen
hatte die Agentur Exozet die das ZDF dabei unterstützt, sich digital im
Markt neu aufzustellen und sich als Brücke zwischen der traditionellen
und der neuen Welt des TVs erfolgreich im Markt zu positionieren.
Mit welcher Strategie sehen Fernsehsender in
die Zukunft? Welche Bedeutung hat dabei die Sender-Marke? Wie
organisieren sich Fernsehanstalten, um zukunftsfähig zu werden? Diese
Fragen diskutierten im Rahmen der 30. Münchner Medientage Experten von
privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern. Auf dem Podium saßen Robert
Amlung, Beauftragter für digitale Strategien des ZDF, Ina Bauer,
Director Sales, Marketing & New Media, ATV und Robert Dube, Leiter
Video on Demand, RTL interactive. Außerdem auf dem Podium waren Uwe
Hofer, Partner bei Exozet, Lauri Kivinen, Geschäftsführender Direktor
und Intendant der Allgemeinen Rundfunkanstalt Finnlands Yleisradio,
sowie Thomas Prantner, Stv. Direktor für Technik, Online und neue
Medien, ORF. Das komplette Panel ist hier abrufbar.
Kivinen (Yleisradio) eröffnet das Panel mit
einem „Espresso Briefing“. Die im Jahre 1926 gegründete Rundfunkanstalt,
kurz „Yle“, ist eine öffentlich-rechtliche Mediengesellschaft und
Vorreiter in Sachen Digitaler Transformation. Der Sender hat rund 3.000
Mitarbeiter und ist damit etwa so groß wie der MDR oder der NDR. Neben
vier TV-Kanälen gibt es sechs Radio-Kanäle und ein großes
Online-Angebot. Einige Sendungen strahlt Yle klassisch linear aus,
andere laufen nur online. Einige stellt der Sender kurzfristig zur
Verfügung. Andere verbleiben bis zu vier Jahren im Netz. Eine bestimmte
Serie konnten Zuschauer als Preview bis zu zehn Folgen im Voraus im Netz
anschauen. Dies nutzen sie „zunehmend“, wie Kivinen sagt. Anderes
wieder schauen User lieber direkt: „Sport ist Frischware“, so der Finne.
„Heute ist Fernsehen überall. Es wird
angeboten über verschiedene Netze, über verschiedene Technologien, auf
verschiedenen Schirmen“, sagt Kivinen. Genau das ist die
Herausforderung: Welche Inhalte kann ein Sender via Kanal, welche „über
Katalog“, also Mediathek anbieten? Kivinens Empfehlung: Online und
Broadcast als Einheit planen. Die Veröffentlichung von Beiträgen sollte
davon abhängig gemacht werden, auf welchem Kanal sie besser ihr
Zielpublikum erreichen. „Dies erfordert eine gute Kenntnis des
Publikums“, so Kivinen. Fernsehen werde nicht sterben, Sender müssen ein
Angebot entwickeln, das die verschiedensten Bedürfnisse des Publikums
erfüllt.
Die anschließende Diskussion bestätigte, dass
lineares Fernsehen nicht sterben werde. Die klassischen Sender sehen
Netflix, Zattoo und Co. mit ihren ausschließlichen Video-on-Demand- und
Streaming-Angeboten keineswegs als gefährliche Konkurrenz. Amlung (ZDF)
sagt, dass das ZDF die Mediathek als eigenständige Marke positionieren
will. Dies sei eine längerfristige Aufgabe, die nicht mit dem Relaunch
abgeschlossen sei. Es gebe zwar in bestimmten Milieus diese starke
Nutzung von Streaming-Angeboten, aber eben nicht in allen. Das ZDF mit
seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag müsse aber alle Milieus erreichen.
Er sieht Online-Angebote daher als Chance, teilweise stark
fragmentierte Zielgruppen zu erreichen: „Wir haben durch unseren
Relaunch mehr Möglichkeiten, auf unterschiedliche Nutzerbedürfnisse
einzugehen.“
Auch für RTL spielt ihre Mediathek “TV NOW”
eine nachgeordnete Rolle. Noch plane RTL nicht, spezielle Formate für TV
NOW zu produzieren, auch wenn es denkbar wäre. Die sei ein iterativer
Prozess. Dube sagt: „Vorerst steht Reichweite im Fokus. Die ist bei TV
nach wie vor sehr hoch.“ Shows wie „Der Bachelor“, „Bauer sucht Frau“
oder Daily Soaps wie „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ funktionieren
besser im linearen TV, weil sie „Talk of Town“ sind. „Netflix
funktioniert anders“, so Dube. Perspektivisch können Online-Angebote
Relevanz bekommen. Doch zuvor müssen technische Herausforderungen
gemeistert werden, sonst können die werbefinanzierten Sender der
RTL-Gruppe kein Geld verdienen. „Werbung über Online auszuspielen ist
aufwändig. Ein Drittel der Entwicklungsaufwendungen gehen in
Implementierung von Werbung. Andere Anbieter haben den Vorteil, dass sie
sich nicht über Werbung refinanzieren“, so Dube. Auch Bauer (ATV) sieht
Video on Demand (VoD) als Ergänzung. Der kürzlich gelaunchte VoD-Sender
und die Mediathek des österreichischen Privatsenders ist für sie daher
zuallererst eine Investition in die Zukunft und in neue Zielgruppen. Für
Prantner (ORF) ist die TVthek „die kleine Schwester“ des linearen
Fernsehens in Österreich. „Wir haben Tagesreichweiten mit 3,5 Millionen
Menschen mit unseren vier Kanälen, in der TVthek sind es nur 140.000.“
„Wir müssen uns dem User annähern“, so Hofer
(Exozet), „online first? Online only? Personalisierung? Das müssen wir
weiterdenken. Man muss mit dem Inhalt spielen. Da gibt es je nach Art
des Senders sicher unterschiedliche Wege.“ Auf jeden Fall müssen der
Zuschauer und seine Bedürfnisse im Zentrum stehen. „Wir sollten
multimedialer denken. Dabei entscheidend ist die User Experience“,
empfiehlt Prantner.
Doch blickt der Zuschauer noch durch, wenn er
auf einer Plattform mit eigener Marke weitere „Unter-Marken“ sieht? So
ist „TV NOW“ eine eigene Marke genauso wie die Sender „RTL“, „RTL II“,
„VOX“ etc., deren Inhalte auf dieser Mediathek vertreten sind. Beim
öffentlich-rechtlichen Mitbewerber aus Mainz gibt es die Dachmarke
„ZDF“, Kanal-Marken wie „ZDFneo“ und Programmmarken wie der erfolgreiche
Krimi „Wilsberg“. Letzteren könnte man durchs Lizenzgeschäft potenziell
auch auf Netflix sehen. Ist das nicht zu viel? „Keineswegs“, betont
Hofer (Exozet).
Marken spielen im unüberschaubaren Meer der
Online-Angebote eine wichtige Rolle. Sie helfen dem User, sich
zurechtzufinden und dienen als relevantes Filter- und
Navigationselement. So kann ein Sender ohne Weiteres auch auf anderen
Plattformen wie auf YouTube vertreten sein (noch eine Marke!). Warum er
das sollte? „Weil da die User sind“, so Hofer (Exozet) trocken und gibt
zu bedenken: „Ist nicht längst der Content die eigentliche Marke?“ Für
starke, unverwechselbare Angebote wie GZSZ, Jan Böhmermann oder Bauer
sucht Frau gilt dies zweifellos.
Doch wie organisiert man eine solche
Transformation? Wie können Zuschauer und vor allem Mitarbeiter
mitgenommen werden, um die neue Entwicklung nachzuvollziehen und die
Änderungen zu akzeptieren? Der finnische Sender Yle baute komplett neue
Strukturen auf. Nicht mehr die TV-Kanäle bekamen das Geld. Es wurde je
nach Bedarf auf lineare oder non-lineare Angebote aufgeteilt, um die
verschiedenen Zielgruppen zu erreichen. Das sei kein leichter Weg, sagt
Kivinen: „Es braucht eine enge Beziehung zum Publikum. Die Veränderungen
müssen sanft sein. Und so hat es fünf Jahre gedauert und auch
personelle Veränderungen nötig gemacht.“
Ein Prozess, vor dem nun auch das ZDF steht.
Bereits seit Jahren sind verschiedene Redaktionen kanalübergreifend
zuständig. So betreut die Nachrichten-Redaktion alle
Nachrichten-Aufgaben. Dieses Prinzip wird nun langsam für alle Inhalte
weiter ausgebaut. Amlung sagt: „Die Veränderungen beim ZDF dauern lange.
Aber der Wille ist da.“
Über Exozet
Exozet, die
Agentur für Digitale Transformation, arbeitet für Unternehmen aus den
Branchen Medien, Entertainment, Brands, Start-ups, Finance,
Telekommunikation sowie für öffentliche Auftraggeber. Mit rund 140
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Berlin, Potsdam-Babelsberg und Wien
berät und gestaltet sie seit 1996 den Digitalen Wandel in Unternehmen
wie z.B. Axel Springer, BBC, Audi, Deutsche Telekom und dem ZDF. Bereits
mehrfach wurde das Unternehmen ausgezeichnet, zuletzt 2015 mit einem
Digital Emmy.