In seiner Fernsehsendung „Hobbythek“ erklärte Jean Pütz die Welt. Im Interview mit dem Fußballmagazin RUND analysiert er den Fußball.
ZEIT online: Herr Pütz, Sie wären doch bestimmt gerne Fußballer geworden.
Jean Pütz: Wie kommen Sie da drauf?
ZEIT online: Sie haben in der Luxemburger Liga gespielt.
Jean Pütz: Ja, in Luxemburg, wo ich aufgewachsen bin, war ich beim AS Remich. Das war die dritte und später die zweite Liga, aber ich war keine große Leuchte. Immerhin war ich so gut, dass die mich gelegentlich, als ich schon in Köln studierte, wenn Not am Ball war, geholt haben. Sie sagten: „Komm erivver!“ und haben mir dann sogar die Reise bezahlt. Aber sonst gab es nichts, das waren ja reine Amateure.
ZEIT online: Und wir sollen Ihnen glauben, dass Sie wirklich nicht gerne Profi geworden wären?
Jean Pütz: Nein, wirklich nicht. Vor allem habe ich meine Bedenken, wenn so viel geköpft wird; ich kann mir nicht vorstellen, dass das besonders gesund ist. Wenn ich sehe, wie die Spieler heutzutage im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf hinhalten, finde ich das auf lange Sicht problematisch. Außerdem war ich im Köpfen sehr schwach, Gott sei Dank, denn für den späteren Journalisten ist der Kopf durchaus ein wichtiges Körperteil. Bei Fußballern sollte das vielleicht auch so sein.
ZEIT online: Das Köpfen ist also richtig schlimm?
Jean Pütz: Ja, neben Knochenbrüchen und Bänderrissen ist das wohl langfristig das größte Problem des Fußballs. Jeder heftige Kopfball kann eine leichte Gehirnerschütterung auslösen. Denn das Gehirn ist eine gallertähnliche Masse, die wird jedes Mal kräftig hin- und hergeschüttelt. Auf die Dauer sollte das Kopfballspielen deshalb nicht übertrieben werden. Das ist aber heutzutage kaum erfüllbar, weil damit sehr schöne und spektakuläre Tore erzielt werden können. Auch deswegen bin ich froh, dass ich kein Fußballspieler geworden bin.
ZEIT online: Aber Ihre Tochter spielt Fußball und trainiert bestimmt auch das Köpfen. Das stört Sie nicht?
Jean Pütz: Nein, erstens ist es für sie kein Leistungssport, und beim Frauenfußball ist der Kopfball auch nicht halb so wichtig.
ZEIT online: Das ist etwas ganz anderes als beim Männerfußball?
Jean Pütz: Ja, ich finde schon. Der heutige Männerprofifußball bringt schon eine enorme Auslese und gleichzeitig eine Ausbeutung des eigenen Körpers. Deshalb ist die Karriere eines Fußballers ja zeitlich eng begrenzt, über 35 gehört man schon zum alten Eisen. Ich selbst bin mit meinen 70 Jahren immer noch sehr gefragt und kann wunderbar Geld verdienen. Ich bin sozusagen noch voll im Saft, weil das gesunde Gehirn als einziges Körperteil nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht altert, vorausgesetzt man trainiert es täglich. Und was kann besseres Training darstellen, als in seinem Überzeugungsberuf weiterzumachen: Ich halte viele Vorträge, mache eine Menge Sendungen und bin bei Weitem noch nicht am Ende. Auch deshalb bin ich glücklich, kein Fußballer geworden zu sein. Klar, ich bewundere die Selbstdisziplin der Profis, aber meine eigenen Knochen hinzuhalten, das wäre mir ein zu großes Risiko.
ZEIT online: Kopfball gefährlich, Knochen kaputt. Sie haben ja ein schlechtes Bild vom modernen Fußball.
Jean Pütz: Nein, nein, es gibt ja auch viele positive Aspekte. Er fördert die Fitness, die jeder Mensch haben muss. Aber auch da muss man natürlich bedachtsam sein und die Nebenwirkungen und Risiken berücksichtigen. Stichwort Radfahren: Ich selbst betreibe es seit meiner Jugend, doch die Profis haben ein enorm vergrößertes Herz, sie sind deshalb zu lebenslangem Training verdammt. Hören sie zu schnell auf, dann wird das gefährlich. Es gibt dazu leider keine Statistik, aber ich habe den Eindruck, dass viele Fußballer nicht sehr alt werden. Ob das nur am Sport liegt, weiß ich nicht, vielleicht am Lebenswandel generell, denn die Versuchungen eines erfolgreichen Profis sind vielfältig. Bei uns in Luxemburg liegt es vermutlich auch am Wein. Die Jungs haben geraucht und waren dem Moselwein mehr als üblich zugetan. Viele halten das Saufen wohl für „männlich“, ein Begriff der unter Fußballanhängern offenbar eine große Rolle spielt.
ZEIT online: Beschreiben Sie doch bitte dieses Männerbild der Fußballer.
Jean Pütz: Es gibt Männer, die brauchen eine Clique und müssen darin ihre Männlichkeit beweisen. Ich selbst kann damit nichts anfangen, ich finde es viel schöner, Frauen zu integrieren. Ein kleiner persönlicher Tipp: Wer Frauen anmachen will, soll das außerhalb der Clique tun – es sei denn, er will damit angeben.
ZEIT online: Es gibt ja das Vorurteil, Fußballer seien nicht allzu intelligent.
Jean Pütz: Das ist Unsinn, oft liegt deren IQ sogar weit über dem Durchschnitt. Es gibt hochintelligente Fußballer. Dazu zähle ich viele ehemalige Spieler, die Trainer oder Manager geworden sind. Ich nenne nur Franz Beckenbauer, Jörg Berger, Jupp Heynckes und Günter Netzer, aber auch derzeit aktive wie Christoph Metzelder von Dortmund. Den schätze ich sehr, weil er ein kleiner Philosoph ist, der einzuordnen weiß, was er beobachtet. Aber was soll aus jungen Leuten werden, die noch völlig unreif sind und plötzlich reich werden? Die werden oft schon als 15-Jährige hochgejubelt und sind plötzlich Millionen wert. Sie wähnen sich im Schlaraffenland, dem ungünstigsten Land, in dem junge Menschen heranwachsen können, dem Land ohne Phantasien.
ZEIT online: Sie reden gerade über Lukas Podolski!
Jean Pütz: Ja, ein bisschen. Aber im Ernst: Man wird sehen, ob er als Mensch eine gute Entwicklung nimmt. Ich wünsche es ihm.
ZEIT online: Stellen Sie sich vor, Sie wären in der Hobbythek und erklärten eine Fußballmannschaft.
Jean Pütz: Ja, wichtig sind einerseits schon die Physik des Balls, der Impulserhaltungssatz, aber auch die Soziologie der Ingroup spielt eine große Rolle. Nehmen wir zum Beispiel Schalke 04 in dieser Saison. Mirko Slomka, der Trainer, hatte zu Beginn der Saison noch keine feste Position und musste sich die Autorität erst verschaffen und erkämpfen. Das hat er offenbar gut beherrscht. Ich bin ja auch Soziologe, da kann ich dies einfach erklären. Es gibt ein interessantes Experiment in der Verhaltenspsychologie: Zwei Populationen von Ratten hat man hungern lassen. Dann hat man dem Leader, dem Alphatier der einen Gruppe beigebracht, wie es an Nahrung kommen kann. In der anderen Gruppe hat man das Experiment insoweit verändert, dass man einem Tier von niederer Rangstufe beigebracht hat, wie es sich nach dem langen Hungern Futter verschaffen kann. Und was ist passiert? In der einen Gruppe haben die Ratten dem Leitvieh alles sofort nachgemacht – sie haben mitgelernt, wie man an Nahrung kommt. Das Tier in der anderen Gruppe jedoch wurde versklavt, das musste jetzt nur noch Nahrung für alle besorgen, die Ratten hatten nichts dazugelernt.
ZEIT online: Das ist aber nicht sehr charmant, eine Fußballmannschaft mit Ratten zu erklären.
Jean Pütz: Wenn Sie wollen, kann ich es auch anders versuchen. Gemäß der Gaußschen Verteilungskurve kann man sagen, dass wir Menschen uns als Gruppe nach bestimmten Gesetzen verhalten, dennoch hat das Individuum einen Freiheitsspielraum. Trotz dieses Freiraums muss sich jeder einordnen in das, was die Natur vorgibt, also in die menschlichen Sozialgesetze.
ZEIT online: Wo sieht man diese Gesetzmäßigkeiten im Fußball?
Jean Pütz: Man wundert sich ja manchmal, wenn Alemannia Aachen plötzlich gegen Bayern München spielt und siegt. Das ist nicht nur eine Frage extremsten Ehrgeizes. Ich will das mit der Thermodynamik erklären: Die Wärme ist eine unordentliche Energie, und wenn es uns gelingt, die Moleküle in eine Richtung zu führen, dann kann man damit eine enorme Fortbewegungsenergieerzeugen. Beim Fußball ist es genauso. Der Trainer kann enorme psychische Energien freisetzen, die Folge: Halb gespielt, ist schon fast gewonnen.
ZEIT online: Wir haben gelernt: Fußballer wollten Sie nicht werden, aber als Wissenschaftsjournalist erklären Sie uns den Fußball. Also wollten Sie doch bestimmt Sportjournalist werden.
Jean Pütz: Ich? Nein, nie.
ZEIT online: Herr Pütz!
Jean Pütz: Nein, wirklich nicht. Dafür habe ich kein Talent. Man muss früh seine Schwächen erkennen, das erspart unnötige Anstrengungen.
ZEIT online: Gab es nicht wenigstens mal den Traum, Sportreporter zu werden?
Jean Pütz: Nein. Ich bin darin eher Realist. Als 13-, 14-Jähriger wollte ich zunächst Handwerker werden. Wurde ich dann auch: Elektromechaniker. Dann dachte ich an Ingenieur, auch das hat geklappt. Nach meinem externen Abitur wagte ich dann den Traum, Journalist zu werden. Allerdings erfüllte sich der erst nach vielen Umwegen und langem Studium mit viel Glück. Und weil ich eben immer alles selbst machen wollte und selbst gemacht habe, kam ich dann auf die Idee zur Hobbythek .
ZEIT online: Kennen Sie viele Fußballer persönlich?
Jean Pütz: Den Heiko Herrlich von Borussia Dortmund habe ich mal näher kennen lernen dürfen. Er trainiert ja jetzt die Jugend dort. Herrlich ist ein sehr sensibler Mensch, und ich glaube, der Fußball hat ihn ziemlich stark beeinflusst – nicht nur im Positiven.
ZEIT online: Sehen Sie einen Zusammenhang zu seiner Erkrankung? Er hatte ja einen Hirntumor.
Jean Pütz: Möglicherweise hat es etwas damit zu tun, dass er ein sehr sensibler Mensch ist. Sensible Menschen bekommen viel öfter Krebs als Haudegen. Das weiß man. Als Fußballer braucht man eine dicke Haut.
ZEIT online: Herrlich, Metzelder – Sie loben ja nur Spieler von Dortmund. Dabei sind Sie doch Kölner!
Jean Pütz: Mein Herz gehört natürlich dem FC. Köln ist die wunderbarste Stadt, die man sich vorstellen kann, und zwar aus ganz konkreten Gründen. Hier, schauen Sie sich mal meine Visitenkarte an, da stehen die Gründe: Erstens: Et es, wie et es. Zweitens: Et kütt, wie et kütt. Drittens: Et hätt noch immer jot jejange. Viertens: Jeder Jeck es anders. Fünftens: Der eine sät su, der andere sät su. Sechstens: Watt fott es, es fott. Siebtens: Drink doch eine met. Köln ist eben echtes Multikulti. Es würde beim FC kaum passieren, dass sie jemanden als Neger beschimpfen. Das heißt: Ich will hoffen, dass es auch in Köln so nicht möglich ist.
ZEIT online: Was Sie alles im 1. FC Köln erblicken, das hätten wir nicht gedacht.
Jean Pütz: Ja, der FC ist nicht von der Stadt abgeschottet. Man sieht die Spieler auch beim Karneval, obwohl das zum Beginn der Karnevalssession für den FC ein Handicap ist. Aber der Karneval ist für mich auch wichtig. Mein Vater war zum Beispiel 1937 Jungfrau im Dreigestirn, die letzte männliche Jungfrau vor dem Krieg. Danach haben die Nazis Männer in Frauenkleidung verboten. Leider hat das in Köln mächtige Festkomitee mitgemacht, und zwar aus purem Opportunismus. Mein Vater hat sehr unter den Nazis gelitten, meine Mutter als Luxemburgerin sogar noch mehr. Das war der Grund, warum ich in Luxemburg aufgewachsen bin. Daher beherrsche ich beide Dialekte perfekt, so dass die Luxemburger mich für einen Luxemburger halten, die Kölner für einen Kölschen. Übrigens, mein Luxemburger Großvater hat mit Freunden den Karnevalsumzug, die Kavalkade, nach Remich an der Mosel gebracht. Und zwar witzigerweise während der Fastenzeit. Da geht heute noch ein großer Zug am zweiten Sonntag vor Ostern, dem Sonntag Lätare.
ZEIT online: Sie sind ja wie der FC: Wir wollen über Fußball reden, und Sie schwärmen vom Karneval!
Jean Pütz: Der FC gehört halt zu Köln, wie der Karneval zu Köln gehört. Da ist ja auch klar, dass die Schwierigkeiten mit dieser extrem brutalen Form von Profifußball haben, die immer nur nach Weltgeltung schielt. Ich bin ja auch deswegen ein FC-Anhänger, weil ich Leute schätze, die sich nicht nach vorne drängen. Ich bin solidarisch mit Verlierern. Man muss als FC-Köln-Fan sowieso leidensfähig sein.
ZEIT online: Ein schöner Zeitpunkt, Sie um einen Kommentar zu Christoph Daum zu bitten.
Jean Pütz: Wir haben eben schon vom Karneval gesprochen. Kreativität entsteht doch nur in einem gewissen genialen Chaos. Und das trifft auch auf Daum zu. Man hat bei Daum auf den psychologischen Effekt gehofft. Vielleicht ist er ja ein Messias, aber hoffentlich stellt er sich nicht als Mogelpackung, als Placebo heraus.
ZEIT online: Außerhalb von Köln wird das alles nicht so ganz verstanden. Da sieht man vor allem den Filz des Kölschen Klüngel.
Jean Pütz: Na! Filz und Klüngel muss man unterscheiden. Unter Klüngel verstehe ich etwas Positives. Man kennt sich, man hilft sich, ein Geben und Nehmen. Ich lasse nicht zu, dass das Wort Klüngel verhunzt wird. Aber alles andere halte ich für kriminell. Es ist eine Frage der Definition.
ZEIT online: Der Duden sagt: Klüngel steht abwertend für „Gruppe, die Vetternwirtschaft betreibt“.
Jean Pütz: In Köln ist der Begriff nicht negativ besetzt. Vor allem darf Köln mit dem Begriff nicht verunglimpft werden, negative Auswirkungen gibt es überall.
Das Interview führten Jörn Duddeck und Martin Krauss für das Fußballmagazin RUND