Die Linse – Ein Typ für den zweiten Blick

Die Linse**
Ein Typ für den zweiten Blick

(aid) – Die kleinste aller Hülsenfrüchte ist so etwas wie das

Aschenputtel unter ihren Verwandten, den Bohnen, Erbsen und Lupinen

dieser Welt. Sie kommt meist in einem unauffälligen Braun daher,

gedeiht am besten auf kargen, trockenen Böden und wächst trotz ihrer

bescheidenen Größe von maximal 50 Zentimetern selten wirklich

aufrecht. Bei Regen und Wind geht sie schnell zu Boden. Deshalb gönnt

man ihr beim Anbau auch meist eine stützende Kultur wie Hafer oder

Gerste, an der sich die Linsenpflanze mit den Ranken am Ende ihrer

feingegliederten Fiederblättchen festhalten kann.

Leider setzt sich die Bescheidenheit der Linse auch bei den Erträgen

fort. Mit mehr als 200 bis 1.000 Kilogramm pro Hektar kann man beim

Anbau nicht rechnen, wohl aber mit sehr großen jährlichen

Ertragsschwankungen. Deshalb sieht man die zarten Linsenpflanzen auf

deutschen Äckern auch nur höchst selten.

Doch wie im Märchen ist die bescheiden auftretende Linse eigentlich

ein echter Star unter den Leguminosen. Denn ihren wahren Wert hat der

Mensch schon vor über 9.000 Jahren erkannt. Im heutigen Griechenland

wurde sie zu dieser Zeit bereits gezielt angebaut, was sie zu einer

der ältesten Kulturpflanzen überhaupt macht. Und von wegen

unauffälliges Braun, die Linse kann auch ganz anders. Es gibt sie in

strahlendem rot, gelb oder grün, die schwarze Belugalinse sieht sogar

edelstem Kaviar zum Verwechseln ähnlich. Allein in Indien, wo die

Linse bereits seit Jahrtausenden hoch im Kurs steht, kann man aus

über 50 verschiedenen Sorten auswählen.

Auch die inneren Werte des vermeintlichen Aschenputtels überzeugen.

Mit einem Eiweißgehalt von bis zu 30 Prozent ist sie nach der

Sojabohne der beste Proteinlieferant unter den Hülsenfrüchten. Zudem

ist sie nahezu fettfrei und enthält stattdessen viele Ballaststoffe,

die in Verbindung mit den ebenfalls reichlich enthaltenen

Kohlenhydraten für eine angenehme, langanhaltende Sättigung sorgen.

Glaubt man kanadischen Studien, ist eine Linsenmahlzeit deshalb vor

sportlichen Wettkämpfen sogar besser für die Ausdauerleistung als

die üblicherweise empfohlenen Nudeln oder Kartoffeln.

Bleibt die Frage, ob man die Linse besser geschält oder ungeschält

genießt. Denn wie so oft stecken in der Schale die meisten

Nährstoffe und vor allem der Geschmack, weshalb die kleineren Sorten

mit hohem Schalenanteil oft aromatischer schmecken. Auf der anderen

Seite sind geschälte Linsen leichter verdaulich. Das macht sie für

Menschen mit empfindlicher Verdauung attraktiv.

Noch schwerer zu beantworten ist aber die Frage, wie man die Linse

genießen möchte: auf schwäbische Art mit Spätzle, scharf als

indisches Dal oder türkisch pikant als Linsensuppe. Märchenhafte

Geschmackserlebnisse sind auf jeden Fall nicht ausgeschlossen.

/Jürgen Beckhoff,