Die Schlüsselindustrien der Luftfahrt haben in
den vergangenen Jahrzehnten in Europa eine Konsolidierung erlebt. In
der Folge könnte Deutschland den Anschluss in der Luftfahrtforschung
verlieren. Darauf weist eine Expertengruppe der Nationalen Akademie der
Wissenschaften Leopoldina im heute veröffentlichten Diskussionspapier
"Zukunftsfähigkeit der Luftfahrtforschung in Deutschland" hin. Darin
betonen die Autoren die exzellente Infrastruktur der hiesigen
Luftfahrtforschung, weisen aber gleichfalls auf einen schleichenden
Expertiseverlust in wichtigen Forschungsfeldern hin. Vor allem die
wichtige Schlüsselkompetenz der Luftfahrt, die "Systemfähigkeit", gelte
es mit neuen Forschungsfeldern wie CO₂-neutralem Fliegen und unbemannter
Luftfahrt zu erhalten und auszubauen.
Die Infrastruktur für
Luftfahrtforschung mit Windkanälen und anderen Großanlagen sei in
Deutschland herausragend, betonen die Autoren und fordern, diese auch in
Zukunft zu nutzen. Die Internationalisierung in der Luftfahrt führe zu
einer gestiegenen Arbeitsteiligkeit über Ländergrenzen hinweg, ein
schleichender Verlust der nationalen Systemfähigkeit im Flugzeugbau sei
zu beobachten. Die Chancen, die sich aus künftigen Anforderungen an die
Luftfahrt ergeben, sollten genutzt werden, um diese Expertise zu
erhalten beziehungsweise wieder aufzubauen. Zukunftsträchtige
Forschungsfelder wie zum Beispiel die Verbesserung der Schadstoffbilanz
im Luftverkehr, die Reduktion von Fluglärm, die Entwicklung unbemannter
Flugzeuge oder Innovationen im Flugverkehrsmanagement angesichts des
steigenden Luftfahrtaufkommens, könnten Ausgangspunkt für neue
Kompetenzen werden.
Die Autoren stellen jedoch fest,
dass wichtige Grundlagen-Disziplinen der Luftfahrttechnik hierzulande
inzwischen fast nicht mehr vertreten sind, so zum Beispiel die
Flugmechanik. Viele Ingenieure in diesen Fachgebieten arbeiteten nicht
mehr in Deutschland. Durch die enge Verbindung zwischen Industrie und
Forschung im Flugzeugbau wirke sich diese Entwicklung auch auf
Universitäten und Forschungseinrichtungen aus. Exzellente Bewerberinnern
und Bewerber auf freie Lehrstühle fehlten und dadurch könne langfristig
die Qualität in der wissenschaftlichen Ausbildung nicht mehr
gewährleistet werden.
Auch in anderen
technikwissenschaftlichen Disziplinen seien Ingenieure aus der
Luftfahrtindustrie gefragte Fachkräfte. Die im Flugzeugbau beteiligten
Disziplinen Flugmechanik, Aerodynamik, Leichtbau und Strukturdynamik,
Systemtechnik sowie Antriebstechnik sind durch die hohen Anforderungen
so eng miteinander verzahnt, dass eine Vielzahl bahnbrechender
Technologien hier ihren Anfang genommen hat, zum Beispiel
Antiblockiersysteme (ABS) in Autos, die Kohlefasertechnologie oder
Grundlagen der Telekommunikation.
Die Autoren schlagen unter anderem
vor, die Luftfahrtstrategie der Bundesregierung zu erweitern, um die
Luftfahrtindustrie und die damit verbundene Forschung zu stärken.
Weiterhin empfehlen die Wissenschaftler, Informationen über die aktuelle
Situation der Wissenschaft im Bereich Luftfahrttechnik in
Statusberichten zu erfassen und damit nutzbar zu machen.
Das Diskussionspapier ist Ergebnis
einer Arbeitsgruppe von Ingenieurwissenschaftlern der Technischen
Universitäten Braunschweig, Darmstadt und München sowie der
Universitäten Bremen und Stuttgart. Das Diskussionspapier ist frei
zugänglich unter www.leopoldina.org/luftfahrt.
Publikationen in der Reihe
"Leopoldina Diskussion" sind Beiträge der genannten Autorinnen und
Autoren. Mit den Diskussionspapieren bietet die Akademie
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, flexibel und
ohne einen formellen Arbeitsgruppen-Prozess Denkanstöße zu geben oder
Diskurse anzuregen und hierfür auch Empfehlungen zu formulieren.
Zukunftsfähigkeit der
Luftfahrtforschung in Deutschland, Diskussionspapier Nr. 17 der
Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V. – Nationale
Akademie der Wissenschaften – 48 Seiten, ISBN: 978-3-8047-3737-2