Dem Strahl auf der Spur
Einfache Messmethode aus Dresden verbessert Genauigkeit der Protonentherapie
Protonenstrahlen sind eine neue, sehr präzise Waffe
im Kampf gegen Krebs. Unsicherheiten über die Reichweite der Strahlen
verhindern bislang jedoch, dass das Potential dieser Methode voll
ausgeschöpft werden kann. Weltweit suchen Forscher deshalb nach
Verfahren, um die Reichweite noch während einer Behandlung exakt zu
messen. Eine überraschend einfache Lösung konnten Wissenschaftler des
Nationalen Zentrums für Strahlenforschung in der Onkologie – OncoRay und
des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) entwickeln. Erste
präklinische Tests verliefen bereits erfolgreich.
Ähnlich einer Gewehrkugel hat ein Protonenstrahl
eine gewisse Reichweite. Kurz bevor die geladenen Teilchen zum
Stillstand kommen, entfalten sie ihr größtes Zerstörungspotential. „Die
Wirkung könnte auf einen bestimmten Punkt in einem Körper – in unserem
Fall auf einen Tumor – konzentriert werden“, erklärt Dr. Guntram Pausch
vom OncoRay-Zentrum. „Die erkrankten Zellen lassen sich so stark
schädigen, während das umliegende gesunde Gewebe geschont wird.“ Die
Eindringtiefe hängt von der Anfangsgeschwindigkeit der Strahlen und der
Zusammensetzung des Gewebes ab. Und hier liegt die Herausforderung, wie
der Strahlenexperte erläutert. „Schon eine verstopfte Nase bei den
Voruntersuchungen kann verzerrte Daten für den Bestrahlungsplan liefern,
was dazu führt, dass der Strahl später nicht genau an der geplanten
Stelle gestoppt wird. Deshalb müssen wir bei der Behandlung
Sicherheitsabstände um den Tumor einplanen.“
Dieser Unsicherheitsfaktor kann bisher nur mit
Hilfe der Computertomographie vor der Behandlung oder indirekt durch
Überprüfung der Strahlenwirkung nach der Anwendung verringert werden.
Die Dresdner Forscher suchen deswegen nach einer Methode, um die
Reichweite des Teilchenstrahls in Echtzeit zu erfassen. Als hilfreicher
Ansatz gilt dafür Gammastrahlung. Diese Art der Strahlung entsteht bei
Kernreaktionen, die die Protonen auf ihrer Reise durch das Gewebe
auslösen. „Die bisherigen Konzepte versuchen, dies mit komplexen und
teuren Detektorsystemen zu messen, um so den Weg der Protonen
nachzuverfolgen“, beschreibt Pausch den Stand der Forschung. „Bis dies
in den Kliniken eingesetzt werden kann, werden noch ein paar Jahre
vergehen.“ Mit dem Team um Dr. Fine Fiedler vom Helmholtz-Zentrum
Dresden-Rossendorf hat er deswegen eine alternative Methode entworfen:
das „Prompt Gamma Timing“. Dieses neue Verfahren beruht auf einer
Zeitmessung, für die nur ein Detektor benötigt wird.
Abweichungen schnell feststellbar
Die Forscher setzen dabei auf einen grundlegenden
physikalischen Effekt: Die Protonenstrahlen brauchen eine bestimmte
Zeit, bis sie ihr größtes Zerstörungspotential erreichen. Bei der neuen
Methode messen die Wissenschaftler deshalb die Zeitspanne zwischen dem
Eintritt der Strahlen in den Körper und dem Aufleuchten der
Gammastrahlung am Detektor. „Weichen die gemessenen von den zuvor
berechneten Zeitspektren ab, trifft der Strahl sein Ziel nicht genau
genug“, fasst Pausch zusammen. „In diesem Fall würden wir das sofort
bemerken und könnten die Bestrahlung an die neuen Bedingungen anpassen.“
Um ihre Annahmen zu bestätigen, testeten die Forscher die Methode
gemeinsam mit dem Weltmarktführer für Protonenstrahl-Therapieanlagen Ion
Beam Applications (IBA).
Am Westdeutschen Protonentherapiezentrum Essen
bestrahlten sie dafür Testobjekte mit Protonenstrahlen, die bei der
Behandlung üblich sind. Bei diesen Untersuchungen konnten die
Wissenschaftler mit ihrem Verfahren Strahlabweichungen von nur wenigen
Millimetern feststellen. Auf dieser Grundlage könnten die
Sicherheitsabstände um den Tumor verringert, die Wirksamkeit der
Behandlung erhöht und gesundes Gewebe noch stärker geschont werden. Die
Forscher untersuchten aber auch Faktoren, die die Genauigkeit des
Verfahrens einschränken können, wie Guntram Pausch erläutert.
Nichtsdestotrotz sieht er ein großes Potential für den Ansatz: „Wie die
Experimente gezeigt haben, könnte unsere Methode angewendet werden, um
während der Therapie merkliche Abweichungen vom Behandlungsplan
auszuschließen.“
Guntram Pausch, dessen OncoRay-Gruppe "In vivo
Dosimetrie für neue Strahlenarten" durch das Bundesministerium für
Bildung und Forschung gefördert wird, erkennt in der neuen Technik eine
Möglichkeit, um für die klinische Anwendung schnell ein Messverfahren
bereitzustellen: „Unser Ansatz könnte die Zeit überbrücken, bis
aufwändigere Detektorsysteme entwickelt und getestet sind.“ Noch in
diesem Jahr will das Team um Pausch Untersuchungen an Phantomen – also
Nachbildungen des menschlichen Körpergewebes und der Organstruktur –
durchführen. Sollte sich die Methode auch bei diesen Versuchen als
verlässlich erweisen, könnte sie bald den Sprung in den klinischen
Alltag nehmen.
Hintergrund: Als erster Standort
in Ostdeutschland setzt das Dresdner Universitätsklinikum Carl Gustav
Carus im Kampf gegen Krebs auf die Strahlentherapie mit Protonen. Mitte
Dezember 2014 begannen die ersten Behandlungen von Tumorpatienten. Die
Kapazitäten sollen nun kontinuierlich auf 400 bis 500 Patienten pro Jahr
ausgebaut werden. Neben Dresden gibt es in Deutschland zwei weitere
Universitätskliniken, die die Protonentherapie anbieten: das
Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum und das Westdeutsche
Protonentherapiezentrum Essen. Da die Dresdner Anlage sowohl für
Krankenversorgung als auch für Forschung eingesetzt wird, hat sich das
Uniklinikum Carl Gustav Carus mit dem OncoRay-Zentrum und dem HZDR zur
Universitäts Protonen Therapie Dresden (UPTD) zusammengeschlossen.