Unterrichtsfach Geschichte sollte gestärkt werden, Zeitgeschichte
größeres Gewicht erhalten, fordert die Autorin. Zeitzeugengespräche und
Gedenkstättenbesuche – wie die im Bild abgebildete KZ-Gedenkstätte
Auschwitz – sind aktiv zu fördern.
Es fehlt an zeitgeschichtlichem Wissen
Vielen Jugendlichen fehlt das Verständnis für die historische
Bedingtheit aktueller Entwicklungen. Ihr Interesse, sich mit der
deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen, ist gering. Die Folge: Es
fehlt das notwendige Wissen, um beispielsweise sicher zwischen einer
Demokratie und einer Diktatur unterscheiden zu können. Bei einer Umfrage
des Forschungsverbunds SED-Staat stuften weniger als zwei Drittel der
Jugendlichen das wiedervereinigte Deutschland als Demokratie ein; mehr
als ein Drittel behauptete, dass Menschenrechte in der alten und neuen
Bundesrepublik, im Nationalsozialismus und in der DDR gleichermaßen
gewährleistet wurden.
Die Defizite in der zeitgeschichtlichen Bildung wirken sich auf das
Orientierungsvermögen in aktuellen politischen Fragen aus:
Persönlichkeiten, Ereignisse und Parteien mit ihren unterschiedlichen
weltanschaulichen Konzepten und Zielen können nicht ausreichend
unterschieden werden.
Weshalb die gering ausgeprägte Urteils- und Demokratiefähigkeit junger Menschen gefährlich ist
Eine freiheitliche, demokratische und offene Gesellschaft braucht
Menschen mit solidem zeitgeschichtlichem und gesellschaftspolitischem
Grundwissen. Dazu zählt die Fähigkeit, gesellschaftliche Entwicklungen
analysieren, einordnen und beurteilen zu können. Fehlt das Vermögen,
zwischen einer demokratischen Meinung und verfassungsfeindlichen
Äußerungen zu unterscheiden, gerät Demokratie in Gefahr.
Junge Menschen müssen Akteuren am Rand des politischen Spektrums etwas
entgegensetzen können und wollen, wenn diese den Nationalsozialismus
verherrlichen oder vor einer Islamisierung Deutschlands warnen. Eine
intensive, pädagogisch hochwertige Auseinandersetzung mit
zeitgeschichtlichen und aktuellen politischen Ereignissen befähigt sie
dazu und trägt damit zur Wehrhaftigkeit der Demokratie bei.
Was ist zu tun?
Um zeitgeschichtliches Wissen zu fördern, ist es unbedingt notwendig,
das Unterrichtsfach Geschichte zu stärken. Geschichtsunterricht muss in
allen Schulen als eigenständiges Fach erhalten bleiben; eine
Verschmelzung mit Erdkunde oder Gemeinschaftskunde sollte vermieden
werden. Darüber hinaus muss Geschichtsunterricht in einer ausreichenden
Stundenzahl erteilt werden. Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen und
Naturwissenschaften sind zweifellos sehr wichtig – trotzdem darf der
Geschichtsunterricht nicht zu kurz kommen.
Schließlich sollte Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht größeres
Gewicht erhalten. Gegebenenfalls sind Lehrpläne zu überarbeiten und
Lehrpersonen fortzubilden. In jedem Fall muss gewährleistet sein, dass
Schulabgänger ausreichend über das „Dritte Reich“, die DDR und die
Bundesrepublik Deutschland informiert sind.
Zeitzeugengespräche und Gedenkstättenbesuche sind aktiv zu fördern. Sie
schaffen eine emotionale Auseinandersetzung und dadurch ein tieferes
Verständnis für die Lebensbedingungen in den verschiedenen Regimen. Sie
sind aber nur dann nachhaltig, wenn eine intensive pädagogische Vor- und
Nachbereitung erfolgt: Teilnehmer müssen über das Erfahrene sprechen
und einen Bezug zur Gegenwart erkennen können. Solche Angebote sollten
sich keineswegs nur an Schüler, sondern auch an andere Altersschichten
und Menschen mit Migrationshintergrund richten.
Es bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes in der zeitgeschichtlichen
Bildung, denn ein gemeinsamer Kern historischen Wissens ist für den
gesellschaftlichen Zusammenhalt unentbehrlich.