(Prof. Helmut Schatz, Bochum)
Blutzuckerschwankungen
sind im Vergleich zum mittleren Tagesblutzucker für Augen-, Nieren- und
Nervenschäden bei Typ-1-Diabetes ohne zusätzliche Bedeutung
Bochum, 26. April 2017:
Das Diabetes Control and
Complications Trial (DCCT) von 1983-1993 an 1441 Typ-1-Diabetespatienten
über im Mittel 6.5 Jahre ergab, dass der günstige Einfluss einer
intensivierten Insulintherapie auf die mikrovaskulären Folgeerkrankungen
so gut wie vollständig durch den erreichten mittleren Blutzucker,
beurteilt am HbA1c-Wert erklärt werden konnte. Da im Unterschied zu den
HbA1c-Werten nur bei zwei Drittel der Patienten vierteljährliche
7-Punkte-Blutzuckertagesprofile vorlagen, wurden jetzt von John N.
Lachin et al. (1) für das fehlende Drittel mit heute verfügbarer
Statistik vergleichbare Tageswerte errechnet. Insgesamt ergab sich, dass
die Tagesschwankungen für die mikrovaskulären Komplikationen ohne
Bedeutung waren.
Die 7-Punkte-Tagesprofile
erfassten den Blutzucker nüchtern, prä- und postprandial sowie vor dem
Schlafengehen. Die Auswertung der jetzt durch die neuen statistischen
Methoden vervollständigten Daten des DCCT ergab, dass die
Tagesschwankungen – somit auch der postprandiale Blutzucker per se –
keinen Einfluss auf Retinopathie, Nephropathie und autonome kardiale
Neuropathie hatten. Lediglich der longitudinale mittlere „M-Wert“ über
die Zeit war (bei Adjustierungen) signifikant mit der Mikroalbuminurie
assoziiert.
Kommentar
Seit Jahrzehnten gibt es
eine Diskussion, ob der postprandiale Blutzucker eine eigenständige
Bedeutung für das Schicksal von Diabetespatienten hat. Die
Pharmaindustrie diskutiert kräftig mit, je nachdem ob sie ein
kurzwirkendes Präparat, also mit besonderem Einfluss auf den
Blutzuckeranstieg nach dem Essen hat oder ein langwirkendes
Antidiabetikum. Die Amerikanische Diabetes-Assoziation (ADA) gab im
Jahre 2001 ein Statement heraus (2), in welchem die Frage nach einer
eigenständigen Bedeutung der postprandialen Glukose über den HbA1c-Wert
hinaus als „unklar“ eingestuft wurde. Die jetzt vorgelegte neue Analyse
der DCCT-Daten verneint dies. Einschränkend muss allerdings gesagt
werden, das die Blutzuckerschwankungen mit den heute verfügbaren
Methoden der kontinuierlichen Blutzuckermessung (etwa dem
freestyle-libre®-System u.a.) andere Resultate liefern könnten.
Keinesfalls sollten die
Ärzte die Diabeteseinstellung ihrer Patienten jetzt nur mehr nach dem
HbA1c-Wert beurteilen. In diesem Sinne äusserte sich auch der Erstautor
Dr. Lachin (3). Er meinte, man könne nicht sagen, dass Patienten nicht
mehr wegen grosser Blutzuckerschwankungen besorgt sein müssten. Ein
mittlerer, normnaher Blutzucker sei nämlich bei extremen Schwankungen
kaum zu erreichen. So sei es schwierig, einen mittleren Glukosewert
beispielsweise von 170 mg/dl bei einer mittleren Standardabweichung der
Tagesglukose von 75 mg/dl zu erzielen (3).
Helmut Schatz