Auf dünnem Eis in der warmen Arktis

Auf dünnem Eis in der warmen Arktis

Nie maßen Forscher in einem Februar eine kleinere Eisdecke auf dem Nordpolarmeer als 2018

Bremerhaven, 8. März 2018. Das Meereis in der Arktis schwindet weiter:
Seit Satelliten in den 1970er Jahren die weiße Kappe über dem
Nordpolarmeer im Blick haben, war die Fläche in keinem einzigen Februar
so klein wie dieses Jahr. Grund dafür sind Warmlufteinbrüche, die nicht
nur häufiger in die Arktis kommen, sondern auch stärker werden und
weiter nach Norden dringen.

Als weite Teile Europas im Februar in eisiger Polarluft bibberten,
wärmten im Gegenzug milde Winde aus dem Süden die Arktis und bescherten
dem Norden Grönlands mitten in der Polarnacht Temperaturen von plus
sechs Grad Celsius. Solche in diesen Breiten sommerlich erscheinenden
Werte bei gleichzeitig sibirischer Kälte in Mitteleuropa sind
Wettermuster, die mit dem Klimawandel verknüpft sind. Warme Luft bremst
das Gefrieren von Wasser im Nordpolarmeer. Bildet sich weniger Eis,
bleibt die Eisdecke im Winter kleiner als in anderen Jahren und der
Ozean erwärmt sich schneller.

Im Februar 2018 registrierten Forscher am Alfred-Wegener-Institut,
Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) dann auch
tatsächlich mit knapp 14 Millionen Quadratkilometern den niedrigsten
Durchschnittswert für die Eisfläche im hohen Norden seit Beginn der
Satellitenmessungen im Jahr 1978. „Allerdings nimmt die Eisbedeckung im
Februar keineswegs von Jahr zu Jahr gleichmäßig ab, sondern schwankt
erheblich“, erklärt der Meereisphysiker Marcel Nicolaus vom
Alfred-Wegener-Institut. Über längere Zeiträume ergibt sich jedoch ein
klarer Trend – die Eisdecke auf dem Nordpolarmeer schrumpft im Monat
Februar um durchschnittlich 2,75 Prozent pro Dekade.

„Hinter dieser langfristigen Abnahme steckt eindeutig der Klimawandel“,
sagt Marcel Nicolaus. Mit Konsequenzen für das Wetter der
Nordhemisphäre: Steigen die Temperaturen und verkleinern sich die
Eisflächen auf dem Nordpolarmeer, verändern die geringen Unterschiede im
Luftdruck zwischen verschiedenen Gebieten den sogenannten Polarjet. Mit
diesem Begriff bezeichnen Meteorologen einen Gürtel starker Winde, die
mit Geschwindigkeiten von einigen Hundert Kilometern in der Stunde hoch
oben in der Atmosphäre von West nach Ost um den Globus brausen.
Allerdings bildet der Polarjet keinen perfekten Kreis, sondern kann
riesige Schleifen bilden, besonders wenn sich der Temperaturunterschied
zwischen dem Norden und dem Süden verringert. Vergrößern sich mit dem
Klimawandel also die Schwingungen des Polarjets, dringt mancherorts
Warmluft viel weiter als in normalen Zeiten nach Norden und andernorts
Kaltluft viel weiter nach Süden.

Genau diese Entwicklung können Klimaforscher bereits beobachten: Die
Warmlufteinbrüche in die Arktis kommen nicht nur häufiger, sondern
werden auch stärker und dringen weiter nach Norden. Im Februar 2018
schwenkte der Polarwirbel über Grönland besonders weit nach Norden, über
Europa reichte er dagegen weit nach Süden. Dabei klemmte er ein
Hochdruckgebiet über Skandinavien und ein Tief über Grönland praktisch
ein. An deren Flanken flutete eiskalte Polarluft auf kürzestem Weg weit
in den Süden Europas, während über Grönland warme Luft weit nach Norden
floss, die dort das Bilden einer Eisdecke auf dem Nordpolarmeer bremste.

Um diese Änderungen besser zu verstehen, reicht es nicht, nur die
Eisfläche der Arktis zu vermessen. Auch die Eisdicke spielt eine
erhebliche Rolle, denn dünnes Eis bricht schneller und wird vom Wind
leichter vertrieben oder zusammengedrückt. Deshalb messen die Forscher
seit 2010 vor allem mit Hilfe des europäischen Satelliten CryoSat-2 und
anderer Erdbeobachtungssatelliten auch die Dicke des Eises auf dem
Nordpolarmeer. „Auch dabei zeichnet sich ein erster Trend zu
durchschnittlich dünnerem Eis ab“, erklärt AWI-Forscher Marcel Nicolaus.
Der Klimawandel lässt das Eis auf dem Nordpolarmeer also nicht nur in
der Fläche, sondern auch in der Masse schrumpfen. Ein Teufelskreis: Die
Eisdecke wird empfindlicher und variabler. Das wiederum lässt die
Temperaturen weiter steigen, weil offenes Wasser viel mehr Sonnenwärme
auf der Erde hält als eine Eisdecke.