Alemtuzumab zur MS-Behandlung zugelassen

Alemtuzumab zur MS-Behandlung zugelassen

Profit vor Patientenwohl

Ein Jahrzehnt lang wurde der Wirkstoff
Alemtuzumab unter dem Handelsnamen MabCampath zur Behandlung von Leukämie
eingesetzt. Um den Umsatz zu erhöhen, wurde die Indikation jedoch im
vergangenen Jahr aufgegeben. Das Medikament erhielt nun unter dem Namen
Lemtrada eine Zulassung zur MS-Therapie und soll zu einem weit höheren Preis
verkauft werden. Die Leukämie-Patienten werden im Regen stehen gelassen.

Die Firma GENZYME, eine Tochter von SANOFI, erhielt
in der vergangenen Woche
für den monoklonalen Antikörper Alemtuzumab eine Zulassung
zur Behandlung von Multipler Sklerose. Die Firma BAYER war an der Entwicklung
des Präparats beteiligt und partizipiert an den Erlösen. Im letzten Jahr war
das Medikament zur Krebsbehandlung vom Markt genommen worden, obwohl es für
einige Formen der Leukämie die beste Behandlungsmöglichkeit darstellt.

Hintergrund des zunächst unverständlich wirkenden
Schachzugs: Nur wenige hundert PatientInnen in Deutschland benötigen das Leukämie-Präparat,
die Einnahmen waren dadurch begrenzt. Der Markt für MS-Medikamente hingegen ist
weitaus interessanter: allein in Deutschland gibt es rund 130.000 Betroffene, weltweit
sind es 2,5 Millionen. MS-PatientInnen leben zudem länger und müssen daher
länger behandelt werden.

Für MS wird jedoch eine viel geringere Dosis benötigt, jährlich
zwischen 30 und 60 mg. Zur Behandlung von Leukämie hingegen wurden in einem
Therapiezyklus 1.100 mg verabreicht. Da ein Wirkstoff für unterschiedliche
Anwendungen nicht unterschiedliche Preise haben darf, standen die Konzerne vor
einem Problem: zu dem früheren Preis versprach die MS-Therapie mit Alemtuzumab
keine großen Umsätze. Orientiert sich der Preis hingegen an den üblichen
Behandlungskosten von MS, würde er sich für Leukämie-Patienten extrem erhöhen,
was zu Kritik von Betroffenen und Krankenkassen führen würde. Um dem Dilemma zu
entgehen, gaben SANOFI und BAYER die wenig lukrative Indikation „Leukämie“
lieber ganz auf.

Philipp Mimkes von der Coordination
gegen BAYER-Gefahren
kritisiert: „Wieder einmal wird deutlich,
dass für BAYER, SANOFI & Co. allein der Profit zählt. Das Patientenwohl ist
dabei nachrangig. Nebenbei zeigt sich, dass die Preisbildung von Medikamenten
nichts mit den Entwicklungskosten zu tun hat: ein und dasselbe Medikament kann
vollkommen unterschiedliche Preise haben – je nachdem, was sich am Markt
durchsetzen lässt.“

Scharfe Kritik hatte bereits im vergangenen Jahr die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaftgeäußert:
Aus Sicht der AkdÄ übernimmt ein pharmazeutischer Unternehmer mit der
Zulassung eines Arzneimittels auch die Verantwortung für eine dauerhaft sichere
und unkomplizierte Versorgung der betroffenen Patienten. Mit der freiwilligen
Marktrücknahme und dem geplanten „Indikations-Hopping“ entzieht
sich der pharmazeutische Unternehmer seiner Verantwortung auf inakzeptable
Weise. Um ein solches Vorgehen zukünftig zu verhindern, müssen die gesetzlichen
Rahmenbedingungen entsprechend angepasst werden.“
Torsten
Hoppe-Tichy, Präsident des Bundesverbands
Deutscher Krankenhausapotheker
ergänzte: „Der
Stakeholder-Value wird hier in bisher nicht dagewesener Weise vor das
Patientenwohl gesetzt.“

Die SCHERING AG, die später in den BAYER-Konzern aufging,
hatte sich an der Entwicklung von Alemtuzumab beteiligt. Dank der
Lizenzabkommen mit GENZYME profitiert BAYER bis heute von der Vermarktung. Im
jüngsten Geschäftsbericht hieß es hierzu: „BAYER beteiligt sich weiterhin
an der gemeinsamen Entwicklung und hat bei erfolgreichem Abschluss die
Möglichkeit einer weltweiten Co-Promotion sowie Anspruch auf Lizenzgebühren und
umsatzabhängige Meilensteinzahlungen.“