Achtsamkeit in der Verhaltenstherapie

fzm – Wesentlichstes Kennzeichen der "dritten Welle" der Verhaltenstherapie ist der Versuch, die bisher angestrebte Verhaltensänderung (kognitive Umstrukturierung des Patienten) mit der Förderung von Akzeptanz in Bezug auf inneres Erleben sowie mit Achtsamkeit zu verbinden. Damit werden qualitativ neue Prinzipien in die Psychotherapie eingeführt, die zum Teil erhebliche Akzentverschiebungen mit sich bringen. Während sich Verhaltenstherapie ursprünglich ausschließlich auf eine Modifikation des Verhaltens konzentrierte, erweiterte die zweite Phase seit den frühen siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Verhaltenstherapie um kognitive Prozesse, wie Gedanken und Überzeugungen. Ein Aufsatz in der Zeitschrift "PPmP Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart) sieht in diesen jüngsten Veränderungen der "dritten Welle" mit aller Vorsicht einen Paradigmenwechsel, handelt es sich doch um eine zum Teil diskontinuierliche Veränderung von Grundüberzeugungen. Der Begriff "Achtsamkeit" bezeichnet ein zentrales Prinzip buddhistischer Meditationspraxis, in welchem die Aufmerksamkeit ganz bewusst und absichtsvoll auf die Hier-und-jetzt-Erfahrung gelenkt wird. Wenn man beispielsweise achtsam duscht, dann duscht man, und denkt nicht an die bevorstehenden Aufgaben des Arbeitstages.

Stattdessen verlangt das Prinzip der Achtsamkeit, dass man sich gegenwärtig bewusst ist, dass man duscht. Man spürt das Wasser auf der Haut, den Geruch der Seife etc. Im Rahmen der Kultivierung von Achtsamkeit wird versucht, eine achtsame Haltung in allen Lebenslagen zu entwickeln, sowohl in als angenehm als auch in als unangenehm empfundenen Situationen. Akzeptanz meint in diesem Zusammenhang eine Bereitschaft, Ereignisse ohne innerliche oder äußerliche Ablehnung oder Vermeidung aktiv und offen aufzunehmen und zu erleben, so wie sie sind, etwa Gedanken, körperliche Empfindungen. Das bedeutet nicht, Erfahrungen oder Dinge einfach zu ertragen oder mit einer passiv-resignativen Haltung zu erleben und gutzuheißen. Psychisches Leiden ist demnach nicht die Folge schwieriger Emotionen, irrationalen Denkens oder dysfunktionaler Schemata, sondern entsteht, wenn wir unser Verhalten darauf ausrichten, aversives inneres Erleben "nicht zu haben2, das heißt wenn wir krampfhaft versuchen, ungewolltes Erleben zu kontrollieren oder zu reduzieren. Jede Maßnahme, subjektives Leiden absichtsvoll zu reduzieren, führt zu der natürlichen Paradoxie, dass der Versuch, es zu beseitigen, das Leiden aufrecht erhält und seine Bedeutsamkeit erhöht. Patienten werden zu Akzeptanz motiviert, indem sie die Hoffnungslosigkeit bisheriger Kontrollversuche erfahren, die zugleich die Botschaft vermitteln, dass Akzeptanz eine mögliche Alternative ist.

Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege.
Balance von Veränderungen und achtsamer Akzeptanz: Die dritte Welle der Verhaltenstherapie.
PPmP Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 2007; 57 (12);
S. 475-486