Studie zu Einkommensverlusten So stark trifft der Brexit deutsche Regionen
Wenn die Briten die EU verlassen, drohen auch in Teilen Deutschlands empfindliche Einkommensverluste. Forscher haben berechnet, welche Regionen besonders betroffen wären.
Von David Böcking und Alexander Preker
Der Brexit sei eine „Idiotie epischen Ausmaßes“. Das sagte ein sichtlich wütender Mann im südenglischen Swindon kürzlich britischen Reportern. Seit 24 Jahren arbeitet er nach eigenen Angaben im örtlichen Honda-Werk – das der japanische Autohersteller nun schließt. Hinter der Entscheidung stand offenbar auch die Sorge vor einem ungeregelten EU-Austritt.
Von Hamsterkäufen und Lkw-Staus bis hin zur Angst vor schlechter medizinischer Versorgung wurden schon viele mögliche Brexit-Folgen diskutiert. Doch wie groß ist die Gefahr für einzelne Regionen? Gibt es ähnlichen Ärger wie in Swindon bald auch in anderen Regionen Großbritanniens oder der EU? Das untersucht eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die am Donnerstag veröffentlicht wird und dem SPIEGEL vorab vorlag.
Auf Basis einer Modellrechnung haben die Forscher bis auf die Ebene von Regierungsbezirken und Metropolen prognostiziert, wie sehr die jeweiligen Handelsströme nach Großbritannien durch den Brexit beeinträchtigt werden. Dabei wird zwischen einem weichen und einem harten Brexit unterschieden, also mit oder ohne Vertrag, der die künftigen Handelsbeziehungen regelt.
Mit Abstand am stärksten betroffen wäre demnach wenig überraschend Großbritannien selbst. Bei einem harten Brexit drohen dort Einkommensverluste von jährlich 57 Milliarden Euro – was jährlich im Schnitt rund 900 Euro pro Einwohner entspricht. Den Süden Englands, der besonders enge Handelsbeziehungen zum nahen Festland pflegt, würde es in jedem Szenario am härtesten treffen. In London prognostizieren die Forscher sogar Pro-Kopf-Verluste von rund 2800 Euro im Jahr.
Doch schon an zweiter Stelle nach den Briten folgen die Deutschen. Insgesamt droht ihnen bei einem harten Brexit ein Minus von rund zehn Milliarden Euro, das wären Pro-Kopf-Verluste von 115 Euro. Doch auch hier sind einzelne Regionen besonders stark betroffen.
Die höchsten Verluste hätte mit insgesamt gut zwei Milliarden Euro Nordrhein-Westfalen, und hier insbesondere die Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln. Falls Großbritannien ohne Vertrag die EU verlässt, rechnen die Autoren dort mit Verlusten von 650 und 558 Millionen Euro, das entspricht jeweils durchschnittlich 126 Euro pro Kopf und Jahr.
Es folgen der Bezirk Oberbayern, der insgesamt 526 Millionen beziehungsweise 115 Euro pro Kopf verlieren würde, und Stuttgart, wo 473 Millionen Euro auf dem Spiel stehen, 116 Euro je Bürger.
Allerdings könnte Oberbayern die Brexit-Verluste nach Ansicht der Autoren besser abfedern als Düsseldorf oder Köln. Denn dort sitzen weltweit tätige Konzerne wie Audi in Ingolstadt oder BMW in München, für die der Handel mit China und den USA deutlich wichtiger ist.
Chinesen und Amerikaner würden der Studie zufolge zu den Gewinnern eines harten Brexits gehören: Wenn Zölle und andere Hemmnisse den Handel in Europa verteuern, dürfte ein Teil davon sich in ihre Weltregionen verschieben.
Bezirke in Nordrhein-Westfalen dagegen wären den Forschern zufolge besonders stark betroffen. Nach Frankreich und den Niederlanden sei Großbritannien in dem Bundesland der drittwichtigste Handelspartner, sagt Mitautor Dominic Ponattu. „Regionen mit produktivem Mittelstand wären von einem Brexit besonders betroffen.“
Den Berechnungen, die die Autoren für die Regionen entsprechend der Regierungsbezirke in ganz Europa erstellt haben, liegen Daten zum regionalen Bruttoinlandsprodukt zugrunde. Auf dieser Grundlage haben sie ein Gleichgewichtsmodell des Handels entwickelt – und untersuchten, was passiert, wenn die Preise steigen, Zölle erhoben werden und die Produktivität langsamer wächst.
Anders als in früheren Handelsmodellen berücksichtigen die Autoren hier auch die geografische Entfernung zwischen den Handelsmärkten, laut Ponattu ein entscheidender Faktor. Auch kulturelle Faktoren wie Sprache spielen eine Rolle, da die Forscher etwa davon ausgehen, dass auch die Verbreitung von Englischkenntnissen in einem Land sich auf die Handelsbeziehungen nach Großbritannien auswirken.