Wie wirksam ist „Kontrolliertes Trinken“ in der Suchttherapie?
Stuttgart, Dezember 2018 – Nicht alle Menschen
mit einer Alkoholabhängigkeit setzen sich das Ziel, am Ende einer
ambulanten Behandlung vollständig abstinent zu sein. Eine Umfrage in der
Fachzeitschrift „Suchttherapie“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2018)
zeigt, dass Patienten auch durch das sogenannte „kontrollierte Trinken“
ihren Alkoholkonsum reduzieren konnten. Personen, die sich für den
vollständigen Verzicht entschieden haben, erlitten im Vergleich jedoch
weniger Rückfälle und mussten sich seltener erneut in Behandlung
begeben. Kontrolliertes Trinken, so das Ergebnis der Studie, ist daher
nicht nur weniger erfolgversprechend, sondern auch kostenintensiver für
das Gesundheitswesen.
Das „kontrollierte Trinken“ ist unter Suchtexperten
umstritten. Einige sehen darin eine gute Behandlungsmöglichkeit für
Menschen, die nicht zu einer völligen Abstinenz bereit sind. Andere
halten die Strategie für verfehlt, da sie Alkoholabhängige in der
falschen Hoffnung bestärke, dass sie ihren Konsum konstant auf einem
niedrigen Niveau halten können.
Professor Dr. phil. Martin Sieber aus Zollikon bei Zürich hat
Alkoholabhängige am Ende einer ambulanten Therapie nach ihrem
Behandlungsziel gefragt. Ein Jahr später gaben die Teilnehmer dem
Fachpsychologen für Klinische Psychologie Auskunft über ihren aktuellen
Alkoholkonsum und mögliche Rückfälle seit Ende der Therapie.
Rund 70 Prozent der Personen, die sich bei der Entlassung für
ein kontrolliertes Trinken entschieden hatten, teilten dem
Suchtforscher mit, dass sie ihren reduzierten Alkoholkonsum nach dem
Behandlungsende beibehalten oder sogar vermindern konnten. Die Hälfte
erklärte, an 20 Tagen pro Monat gar keinen Alkohol zu trinken.
Patienten, die sich für eine komplette Abstinenz entschieden
hatten, schnitten jedoch insgesamt noch besser ab. Fast neun von zehn
(89,1 Prozent) gelang es, im ersten Jahr nach der Behandlung auf einen
problematischen Alkoholkonsum zu verzichten. Mit dem kontrollierten
Trinken gelang dies weniger als der Hälfte (44,7 Prozent). Ein
problematischer Alkoholkonsum liegt dann vor, wenn die Personen mehrmals
in der Woche Alkohol trinken und es bei einzelnen Gelegenheiten mehr
als sechs Getränke werden.
Auch die Anzahl derer, die aufgrund von Alkoholexzessen
erneut in einer ambulanten oder stationären Therapie waren, war unter
den Patienten, die eine Abstinenz angestrebt hatten, geringer. Einige
von ihnen wurden zwar rückfällig, doch sieben von zehn (71 Prozent)
hatten es geschafft, auf übermäßigen Alkoholkonsum zu verzichten. Mit
dem Therapieziel „kontrolliertes Trinken“ war dies nur jedem Dritten (36
Prozent) gelungen.
Das kontrollierte Trinken ist deshalb mit höheren
finanziellen Belastungen für die Gesellschaft verbunden, schreibt
Professor Sieber. Die durch die ambulante und stationäre Behandlung und
die durch Arbeitsausfälle entstandenen Folgekosten betrugen im
Durchschnitt fast 10 000 Franken pro Jahr gegenüber etwa 3000 Franken
bei den Personen, die sich für die Abstinenz entschieden hatten.
Der Suchtexperte hält die Abstinenz insgesamt für die
erfolgversprechendere Strategie. Andererseits sollte Personen, die dazu
nicht bereit sind, die Möglichkeit des kontrollierten Trinkens nicht
verwehrt werden, gibt der Psychotherapeut abschließend zu bedenken.
M. Sieber:
Ist ambulante Suchthilfe auch dann wirksam und kosteneffektiv,
wenn Klienten „Kontrolliertes Trinken“ oder andere Zielsetzungen
präferieren?
Suchttherapie 2018; online erschienen am 12.11.2018