So schnell erwärmen sich die Dauerfrostböden der Welt

So schnell erwärmen sich die Dauerfrostböden der Welt

Neue globale Vergleichsstudie zeigt weltweiten Anstieg der Bodentemperatur in den Permafrostregionen

Bremerhaven/Potsdam, 16. Januar 2019. Die Erderwärmung hinterlässt immer
deutlichere Spuren in den Permafrostregionen der Welt. Wie die neue
globale Vergleichsstudie des internationalen Permafrost-Netzwerkes GTN-P
jetzt zeigt, ist in allen Gebieten mit Dauerfrostboden die Temperatur
des gefrorenen Untergrundes in mehr als 10 Metern Tiefe im Zeitraum von
2007 bis 2016 um durchschnittlich 0,3 Grad Celsius gestiegen – in der
Arktis ebenso wie in der Antarktis und in den Hochgebirgen Europas und
Zentralasiens. Besonders hoch fiel die Erwärmung in Sibirien aus. Dort
erwärmte sich der gefrorene Boden um nahezu 1 Grad Celsius. Die
wegweisende Studie erscheint jetzt im Online-Fachmagazin Nature
Communications.

Rund ein Sechstel der Landflächen unseres Planeten gelten als
Permafrostgebiete. Das heißt, ihr Boden ist mindestens zwei Jahre lang
dauerhaft gefroren. In den meisten Regionen aber steckt die Kälte seit
vielen Jahrtausenden im Erdreich, sodass der Permafrost im Extremfall
bis in eine Tiefe von 1,6 Kilometer reicht. Vor allem in der Arktis
nutzen Menschen den Dauerfrostboden als tragfähigen Untergrund für
Häuser, Straßen, Pipelines und Flughäfen. Im Zuge der Erderwärmung aber
nimmt die Standfestigkeit dieser Bauten nun ab, was enorme Schäden
verursacht. Die Permafrostböden enthalten außerdem jede Menge
konservierter Pflanzen- und Tierreste. Sollte dieses organische Material
gemeinsam mit dem Permafrost auftauen, würden Mikroorganismen die
Überreste zersetzen. Ein Prozess, bei dem so viel Kohlendioxid und
Methan emittiert werden könnte, dass die globale Temperatur bis zum Jahr
2100 um weitere 0,13 bis 0,27 Grad Celsius ansteigen würde.

Eine neue Vergleichsstudie des internationalen Permafrost-Netzwerkes
(GTN-P – Global Terrestrial Network for Permafrost) zeigt nun erstmals,
in welchem Ausmaß sich die Permafrostböden der Welt bereits erwärmt
haben. Dafür haben die Forscher zehn Jahre lang die Bodentemperatur in
Bohrlöchern in der Arktis, der Antarktis und in verschiedenen
Hochgebirgen der Welt gemessen und ausgewertet. Die Daten wurden in mehr
als 10 Metern Tiefe erhoben, sodass der Einfluss saisonaler
Temperaturschwankungen ausgeschlossen werden konnte.

Der komplette Datensatz umfasst 154 Bohrlöcher, von denen 123 Aussagen
über ein Jahrzehnt zulassen, während der Rest die Berechnung zu den
jährlichen Abweichungen verfeinert. Die Ergebnisse legen offen, dass
sich in den zehn Jahren von 2007 bis 2016 der Permafrostboden an 71 der
123 betrachteten Messstellen erwärmt hat. In 5 dieser Bohrlöcher taute
der Permafrost in der Tiefe sogar auf. An 12 Bohrlöchern sank die
Bodentemperatur dagegen, u.a. vereinzelt in Ost-Kanada, im südlichen
Eurasien und der antarktischen Halbinsel, an 40 Bohrlöchern blieb sie
nahezu unverändert.

Im Einzelfall Temperatursprünge von bis zu 1 Grad Celsius

Die deutlichste Erwärmung beobachteten die Wissenschaftler in der
Arktis: „Dort ist in Gebieten mit einem Permafrostanteil von mehr als 90
Prozent die Bodentemperatur innerhalb von zehn Jahren um
durchschnittlich 0,39 Grad Celsius gestiegen“, berichtet Erstautor Dr.
Boris Biskaborn, Mitglied der Forschungsgruppe Polare Terrestrische
Umweltsysteme von der Potsdamer Forschungsstelle des
Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und
Meeresforschung. Im Nordosten und Nordwesten Sibiriens betrug der
Temperatursprung an einzelnen Bohrlöchern sogar 0,90 Grad Celsius und
mehr. Zum Vergleich: Die Lufttemperatur in den entsprechenden Regionen
war im selben Zeitraum um durchschnittlich 0,61 Grad Celsius gestiegen.

Weiter südlich, in arktischen Gebieten mit einem Permafrostanteil von
weniger als 90 Prozent, erwärmte sich der gefrorene Untergrund im Mittel
nur um 0,2 Grad Celsius. „In diesen Regionen fällt immer mehr Schnee,
der den Permafrost nach dem Iglu-Prinzip im doppelten Sinne isoliert: Im
Winter bewahrt der Schnee den Boden vor extremer Kälte, was im
Durchschnitt zur Erwärmung führt. Im Frühjahr reflektiert er das
Sonnenlicht und schützt ihn zumindest bis zur vollständigen
Schneeschmelze vor zu großer Wärme“, erklärt Boris Biskaborn.

Eine deutliche Erwärmung zeichnet sich auch in den Permafrostgebieten
der Hochgebirge sowie in der Antarktis ab. Die Temperatur der dauerhaft
gefrorenen Böden in den Alpen, im Himalaya sowie in den Gebirgen der
nordischen Länder stieg im Mittel um 0,19 Grad Celsius. In den wenigen
tiefen Bohrlöchern der Antarktis verzeichneten die Forscher einen
Anstieg um 0,37 Grad Celsius.

„All diese Daten zeigen uns, dass sich der Permafrost nicht nur lokal
und regional erwärmt, sondern weltweit und nahezu im Takt mit der
Klimaerwärmung, die vor allem in der Arktis zu einer starken Erwärmung
der Luft und zu größeren Schneedicken führt. Beide Veränderungen
bedingen nun die Erwärmung des bisher dauergefrorenen Untergrundes“,
sagt Prof. Guido Grosse, Leiter der Sektion Permafrostforschung am
Alfred-Wegener-Institut in Potsdam.

Das Permafrost-Monitoring braucht einen institutionellen Rahmen

Diese umfassende Erkenntnis ist der Lohn für eine jahrzehntelange
internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlern aus 26 Ländern. Die
meisten der in der Studie genutzten Bohrlöcher hatten Forscher im
Internationalen Polarjahr 2007/08 gebohrt und mit Messinstrumenten
ausgestattet. Damals war eine erste Momentaufnahme der
Permafrost-Temperaturen gelungen. Seitdem hatten mehr als 50
verschiedene Forschergruppen die unterirdischen Messstationen gewartet
und die Daten einmal pro Jahr vor Ort ausgelesen. Im virtuellen Netzwerk
GTN-P wurden die Ergebnisse gebündelt, standardisiert und somit
vergleichbar gemacht.

„Die Permafrost-Temperaturen weltweit zu messen und die Daten in der
frei zugänglichen GTN-P-Datenbank zu bündeln, ist von enormer Bedeutung –
nicht nur für Wissenschaftler, Lehrer und Kommunikatoren, sondern auch
für viele andere Nutzer“, sagt Prof. Hanne H. Christiansen, Co-Autorin
der Studie und Vorsitzende der International Permafrost Association
(IPA).

„Die Permafrost-Temperatur gehört zu den anerkannten Klimavariablen. Sie
verrät uns auf direktem Wege, wie der gefrorene Untergrund auf den
Klimawandel reagiert“, so die Forscherin. Diese Informationen würden vor
allem in jenen Permafrostregionen benötigt, in denen sich der Boden
bereits erwärmt oder zu tauen begonnen hat und große Schäden entstehen,
weil der Untergrund wegsackt und Gebäude oder Straßen den Halt
verlieren. Aus diesem Grund wollen die Forscher die Bohrlöcher auch
künftig betreiben.

Im Gegensatz zur Wetterbeobachtung aber gibt es in der
Permafrostforschung bislang keine internationale Institution, die nach
dem Vorbild der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) die nationalen
Interessen erfolgreich bündelt. Sie würde gebraucht, um diese wichtigen
wissenschaftlichen Messungen zu koordinieren und das Betreiben solcher
Beobachtungsstellen langfristig zu gewährleisten.

Die Permafrost-Bohrlöcher und installierten Temperatursensoren werden
bisher durch viele kleine Projekte der einzelnen Forschergruppen am
Leben erhalten. Das Global Terrestrial Network for Permafrost (GTN-P)
betreibt ein webbasiertes Datenmanagementsystem (gtnpdatabase.org),
welches mit Fördergeldern der Europäischen Union in Zusammenarbeit
zwischen dem Alfred-Wegener-Institut und dem isländischen Arctic Portal
entwickelt wurde.