Warum manche alte Menschen gegen Demenz resilient sind

Mein Motto seit jeher: "Gehirnzellen müssen genauso trainiert werden wie die
Muskeln. Jede Zelle, die nicht gebraucht wird, wird vom Körper abgebaut."

Neue Erkenntnisse aus der Demenzforschung: Warum manche alte Menschen gegen Demenz resilient sind

Kyoto (pts004/16.09.2017/10:30) – 90+, Plaques im
Gehirn und trotzdem geistig fit: Warum manche Menschen anfälliger für
eine Demenz sind und andere nicht, diskutierten Experten auf dem
Weltkongress für Neurologie in Kyoto. Neuere Studien zeigen, was
Menschen kognitiv gesund hält.

Warum werden manche Menschen im Alter dement und andere
nicht, selbst wenn sie hochbetagt werden? Internationale Experten sind
derzeit beim XXIII. Weltkongress für Neurologie in Kyoto dem Vergessen
auf Spur. Prof. Dr. Claudia Kawas von der University of California,
Irvine, hat sich in "The 90+ Study" mit dem kognitiven Zustand von
Hochbetagten beschäftigt. Die Langzeitstudie zählt mit über 1.700
Teilnehmern zu den größten Untersuchungen dieser Art. "Es ist wichtig,
dass wir die kognitive Gesundheit Hochbetagter studieren, denn von
dieser am schnellsten wachsenden Altersgruppe können wir viel lernen",
so Prof. Kawas. Prognosen dänischer und deutscher Experten zur
Lebenserwartung zufolge werden die meisten seit dem Jahr 2000 in
Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien, den USA, Kanada, Japan
und anderen Ländern mit hoher Lebenserwartung geborenen Menschen ihren
100. Geburstag erleben. "Angesichts der demographischen Entwicklungen
ist es entscheidend, dass es uns gelingt, die Demenzentwicklung
einzudämmen", so Prof. Kawas. "Könnten Interventionen den
Krankheitsbeginn bei Alzheimer-Patienten um nur zwei Jahre verzögern,
dann würde das allein für die USA im Jahr 2050 zwei Millionen Fälle
weniger als prognostiziert bedeuten."

Wie sich herausstellte, litten 40 Prozent der
Teilnehmer der "90+ Study" unter demenziellen Erkrankungen, wobei Frauen
stärker betroffen waren als Männer. "Interessanterweise weist etwa die
Hälfte der nicht-dementen Hochbetagten bei der Autopsie eine hochgradige
Alzheimer-Pathologie auf, obwohl sie zu Lebzeiten geistig rege waren",
erklärt Prof. Kawas. Umgekehrt lassen sich bei der Hälfte der
Demenzpatienten Symptome von geistigem Abbau feststellen, ohne dass
solche neuropathologischen Veränderungen vorlagen.

Gesunder Lebensstil für geistige Fitness

Gründe für diese kognitive Resilienz könnten zum Teil
mit dem Lebensstil zusammenhängen: Die Gruppe der resilienten
Studienteilnehmer machte zum Beispiel mehr Bewegung und sah weniger fern
– wobei "kognitive Resilienz" in dieser Studie die spezielle
Konstellation beschrieb, dass die betreffenden Personen zwar typische
Alzheimer-Pathologien aufwiesen, aber keine Demenz-Symptome.

Besonders deutlich manifestiert sich der Faktor Bildung
bei Personen, bei denen der PET-Scan die für Alzheimer typischen
Ablagerungen im Gehirn nachweisen konnten: "Menschen mit geringer
Bildung hatten in dem Fall ein um viermal höheres statistisches Risiko,
an Demenz zu erkranken, als Menschen mit höherem Abschluss. Bei Personen
ohne Plaque machte der Bildungsunterschied hingegen nichts aus",
erläutert die Expertin.

Ein anderer interessanter Befund: Multiple Pathologien
scheinen an der Wurzel von Demenzsymptomen in allen Altersgruppen zu
sein. Prof. Kawas: "Bei Hochbetagten ist das Auftreten multipler
Pathologien mit einem erhöhten Demenzrisiko assoziiert, und die Anzahl
der Pathologien scheint relevant zu sein für den Schweregrad der Demenz.
Um die Krankheitslast durch Demenzen zu reduzieren, müssen wir diesen
multiplen Pathologien auf die Spur kommen."

Unsicherheiten gibt es nach wie vor in der Frage, wie
sich demenzielle Erkrankungen in allen Altersstufen verhindern oder ihr
Verlauf verlangsamen lassen. Damit beschäftigte sich "Preventing
Cognitive Decline and Dementia", eine aktuelle Studie der National
Academies of Science, Engineering and Medicine, die den Forschungsstand
im Auftrag des National Institute on Aging (NIA) erhoben hat. "Dabei
konnten keine spezifischen Interventionen zum Erhalt der kognitiven
Gesundheit identifiziert werden. Es kristallisierte sich aus den
bisherigen Ergebnissen eine generelle Botschaft heraus, berichtet Prof.
Kawas: "Wer Gehirn und Körper aktiv hält, hat eine gute Chance, seine
kognitiven Fähigkeiten zu schützen."

Training für das Hirn sind beispielsweise
Problemlösungsaufgaben oder Übungen, um Gedächtnis oder geistige
Verarbeitungsgeschwindigkeit zu fordern. Für die Wirksamkeit von
kommerziellen computerbasierten "Gehirntrainings" gibt es derzeit keine
Beweise, sie scheinen nur kurzfristige Erfolge zu bringen und diese nur
bezogen auf die gleichen, immer wieder trainierten Aufgaben, so die
Expertin.

Körperliche Aktivität – oder der Mangel davon – wurde
als einer der beeinflussbaren Risikofaktoren identifiziert, der den
größten Einfluss auf kognitive Störungen und Demenz hat. Eine Studie
(AHRQ systematic review) zeigt, dass Bewegung einen Beitrag leisten
kann, um altersbedingten kognitiven Abbau hinauszuschieben oder zu
verlangsamen. Unter Einbeziehung von Daten einer prospektiven
Kohortenstudie und Erkenntnissen von neurobiologischen Prozessen folgert
das Untersuchungskomitee allerdings, dass der abschließende Beweis
dafür noch nicht erbracht ist.

Es scheint für die kognitive Gesundheit wichtig zu
sein, zu hohen Blutdruck in den Griff zu bekommen. Das gilt besonders
für den mittleren Lebensabschnitt zwischen 35 bis 65 Jahren. Auch wenn
der entscheidende Beweis noch nicht erbracht ist, gibt es doch zunehmend
Hinweise darauf, dass dies Demenz vorbeugen, hinausschieben oder
verlangsamen kann. "Interessanterweise ist eine gute Blutdruckkontrolle
zwar generell ein wichtiges präventives Element für Demenz, aber bei den
Hochbetragten über 90 ist das Bild differenzierter", so Prof. Kawas.
"Bei ihnen gibt es Hinweise dafür, dass hoher Blutdruck unter Umständen
sogar einen gewissen protektiven Effekt haben kann."

Forschungsansätze schärfen

"Die Menschen sollten in geeigneter Form darüber
informiert werden, was sie aus heutiger Sicht der Wissenschaft gegen
geistigen Abbau tun können. Die Ergebnisse des Berichts sind allerdings
nicht dazu geeignet, Public-Health-Strategien gegen die Volkskrankheit
Demenz abzuleiten. Wir brauchen noch weitere Untersuchungen, um die
Wirkung potenzieller Maßnahmen besser beurteilen zu können", betont
Prof. Kawas. Das Komitee schlägt verfeinerte Forschungsansätze vor, die
verschiedene Bevölkerungsgruppen gesondert zu betrachten und
beispielsweise den ethnischen oder sozioökonomischen Hintergrund der
Menschen oder den Zeitpunkt der Anti-Demenz-Intervention
mitzuberücksichtigen. Außerdem sei es erforderlich, weitere Behandlungen
einzubeziehen, die Betroffene bekommen. Dazu gehören neue
Anti-Demenz-Behandlungen, Diabetes- und Depressionstherapien,
lipidsenkende Medikamente, die Gabe von B12plus-Folsäure oder
Interventionen, die auf Ernährung, Schlafqualität oder soziales
Engagement zielen.

Quellen: The 90+ Study: http://www.90study.org ; Leshner et al, Preventing Cognitive Decline and Dementia. A Way
Forward, Washington (DC): National Academies Press (US); 2017 Jun. The
National Academies Collection: Reports funded by National Institutes of
Health. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28650595 ; Christensen et al. Aging populations, the challenges ahead. The
Lancet, Volume 374, No. 9696, p1196-1208, 3 October 2009; Kawas et al.
Multiple pathologies are common and related to dementia in the
oldest-old. Neurology. 2015 Aug 11;85(6):535-42.

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