Raubtiere durch Straßen stärker bedroht als bisher angenommen
Erste globale Studie zu den Auswirkungen von Straßen auf Raubtiere veröffentlicht
Leipzig/Halle(Saale)/Porto. Die Auswirkungen von
Straßen auf Raubtiere wurden beim weltweiten Artenschutz offenbar bisher
unterschätzt. Zu diesem Ergebnis kommt die erste umfassende globale
Studie zu diesem Thema, die ein Forschungsteam aus Deutschland und
Portugal jetzt im Fachblatt „Global Ecology and Biogeography“
veröffentlicht hat. Der Schutzstatus mehrerer Arten, die besonders von
der Zerschneidung ihres Lebensraumes durch Straßen betroffen sind,
sollte dringend überdacht werden, so die Wissenschaftler.
Der erste globale Überblick über die
Auswirkungen von Straßen auf Raubtiere liefert neue Erkenntnisse für den
Schutz so bekannter Arten wie den Puma (Puma concolor), den Amerikanischen Schwarzbären (Ursus americanus) oder den Braunbären (Ursus arctos).
Der Studie zufolge gehören sie zu jenen Arten, deren Überleben
langfristig am stärksten vom Verkehr bedroht wird, für die diese Gefahr
aber bisher nicht in voller Tragweite erkannt wurde. Unter jenen fünf
Prozent an Raubtierarten (17 Arten), die weltweit am stärksten von
Straßen beeinflusst werden, sind aktuell neun von der
Weltnaturschutzunion (International Union for Conservation of Nature, IUCN) als „nicht gefährdet“ eingestuft.„Unsere
Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit, den Schutzstatus dieser 17 Arten
zu aktualisieren, da deren Bedrohung durch Straßen bisher unterschätzt
wurde“, betont Prof. Henrique Pereira vom Deutschen Zentrum für
Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und dem Portugal
Infrastructures Biodiversity Chair/Research Center in Biodiversity and
Genetic Resources (CIBIO-InBIO).
Besonders bedroht ist der Iberische Luchs (Lynx pardinus),
der nur in Spanien und Portugal vorkommt und von dem es Schätzungen
zufolge nur noch wenige Hundert Tiere gibt. Die Hochrechnung in der
aktuellen Studie ergibt, dass die Art in 114 Jahren ausgestorben sein
wird. Doch während der Iberische Luchs von der Weltnaturschutzunion als
„stark gefährdet“ eingestuft wird, sind andere von Straßen betroffene
Tierarten dies nicht. Zum Beispiel zwei Arten aus Japan: Der Japanische
Dachs (Meles anakuma) und der Japanische Marder (Martes melampus) werden der Hochrechnung zufolge aufgrund der Bedrohung durch Straßen in neun bzw. 17 Jahren ausgestorben sein.
Jene fünf Prozent an Raubtierarten (17
Arten), die weltweit am stärksten von Straßen beeinflusst werden,
gehören zu den Säugetierfamilien der Katzen, Bären, Marder, Hunde und
Kleinbären. Bei den Bären sind vier Arten betroffen – die Hälfte aller
existierenden Bärenarten. Überraschend für die Forscher war, dass auch
der Steinmarder (Martes foina) unter die 17 am stärksten durch
Straßen betroffenen Arten fällt. Diese Art ist zwar weit verbreitet und
nicht als gefährdet eingestuft, wird aber oft durch Autos getötet. Eine
andere Art in Deutschland, der Wolf (Canis lupus) gehört zu den
obersten 25 Prozent der weltweit am stärksten von Straßen betroffenen
Raubtieren (55 Arten). Er ist eines jener Tiere, die für ein
langfristiges Überleben große Flächen benötigen, deren Lebensräume aber
durch Straßen zerschnitten werden.
Für ihre Studie erfassten die
Wissenschaftler 232 Raubtierarten weltweit (von insgesamt ca. 270
existierenden Raubtierarten). Für diese bestimmten sie, wie stark sie
von der Zerschneidung ihres Lebensraumes durch Straßen beeinflusst
werden. Dafür berücksichtigten die Forscher zum Beispiel die natürliche
Mortalitätsrate, die Anzahl der Nachkommen und das Wanderverhalten einer
Art. Aus diesen Faktoren errechneten sie, welche Dichte an Straßen eine
Art maximal ertragen kann. Außerdem ermittelten sie die minimale Fläche
an unzerschnittenen Lebensraum, die eine Art braucht, um dauerhaft
gesunde Populationen erhalten zu können. Diese Daten glichen sie mit dem
weltweiten Straßennetz ab.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Nordamerika
und Asien die Regionen mit den meisten Raubtierarten sind, die durch
den Straßenverkehr negativ beeinflusst werden,gefolgt von
Südamerika und Europa“, erklärt Ana Ceia Hasse vom iDiv, der MLU und
dem Portugal Infrastructures Biodiversity Chair/CIBIO-InBIO. „Doch
während wir erwartet hatten, dass die fleischfressenden Säugetiere
besonders in Regionen mit hoher Straßendichte leiden, waren wir
überrascht zu sehen, dass es auch in Regionen mit geringer Straßendichte
Raubtiere gibt, die durch Straßen bedroht sind.“ So haben Straßen in
Afrika deutliche Auswirkungen auf das Verbreitungsgebiet des Leoparden (Pathera pardus).
Empfindliche Arten, die natürlicherweise regelmäßig weitere Distanzen
zurücklegen, können nämlich schon durch vergleichsweise wenige
Straßenbehindert werden. „Wir haben nicht einfach Straßen und
Verbreitungsgebiete der Raubtiere übereinander gelegt, sondern haben
auch die spezifischen Eigenschaften und Ansprüche der Arten in unseren
Berechnungen berücksichtigt. So konnte wir auch Arten ermitteln, die
bereits auf wenige Straße sensibel reagieren“, so Ceia-Hasse. Aus Sicht
der Wissenschaftler kann die Methode künftig für weitere Untersuchungen
genutzt werden – so zum Beispiel für die Erarbeitung lokaler
Schutzmaßnahmen, für Umweltbewertungen durch Behörden oder um die
langfristigen Auswirkungen des Straßenbaus in Szenarien der Weltbank zum
globalen Biodiversitätswandel einfließen zu lassen. Tilo Arnhold, Tabea Turrini (iDiv)