„Schmerz-Präsident“ Prof. Dr. Michael Schäfer:
Initiative der Drogenbeauftragten weist in die richtige Richtung!
Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. für einen differenzierten therapeutischen Einsatz von Cannabinoiden, gute Indikationsstellung und Qualitätssicherung
Berlin,
2. März 2015. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. unterstützt die
Initiative von Frau Marlene Mortler MdB, der Drogenbeauftragten der
Bundesregierung, den therapeutischen Einsatz von Substanzen aus der
Hanfpflanze, den sogenannten Cannabinoiden, zu erleichtern.
Sofern
eine medizinische Indikation besteht, sollte eine unbürokratische
Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen ermöglicht werden.„Allerdings
bedarf es einer differenzierten Betrachtung und genauen
Indikationsstellung sowie Qualitätssicherung der Therapie.“, so Prof.
Dr. Michael Schäfer, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V.
Denn der therapeutische Einsatz von Cannabinoiden wird derzeit aktiv in
der Öffentlichkeit und von unterschiedlichen Fachgesellschaften
kommentiert. Die Diskussion suggeriert, dass Cannabinoide ein wirksames
Schmerzmittel seien und bisher der betroffenen Mehrheit an
Schmerzpatienten und –patientinnen aus regulatorischen Gründen
vorenthalten wurden. Nach derzeitigem Wissens- und Erfahrungsstand sind
Cannabinoide jedoch nur bei einzelnen ausgewählten Schmerzpatienten
ausreichend wirksam. In der Mehrheit der chronischen Schmerzpatienten
zeigen Cannabinoide lediglich eine geringe bis mäßige Schmerzlinderung,
sodass Cannabinoide anderen bisher gebräuchlichen Schmerzmitteln nicht
überlegen sind.
„Bemerkenswert
ist jedoch, dass in Einzelfällen speziell ausgewählte Patienten, bei
denen die gebräuchlichen Schmerzmittel versagen, von der Anwendung der
Cannabinoide sehr stark profitieren“, so der Präsident der Deutschen
Schmerzgesellschaft e. V., der mit rund 3.400 Mitgliedern größten
wissenschaftlich-medizinischen Schmerzfachgesellschaft Europas. Dies
scheint insbesondere Patienten zu betreffen, deren Schmerzen eine
spastische Komponente haben, wie z. B. bei der multiplen Sklerose, einer
Querschnittslähmung oder Nervenverletzung. Auch manche Patienten mit
neuropathischen Schmerzen bei HIV, bei denen erprobte Verfahren
versagen, können in Einzelfällen eine deutliche Linderung durch
Cannabinoide erfahren. Andere therapeutische Wirkungen, wie
antiemetische, appetitsteigernde oder antientzündliche Wirkungen werden
den Cannabinoiden zugeschrieben, jedoch liegen für diese Indikationen
als auch für viele Schmerzsyndrome bisher keine qualitativ hochwertigen
Studien vor.
Die
vorliegenden Studien und Erfahrungsberichte zeigen deutlich, dass
Cannabinoide einerseits in vielen Fällen nur sehr schwach
schmerzlindernd wirksam sind, andererseits für einzelne ausgewählte
Patienten durchaus hilfreich sein können. Diesen Patienten sollte daher
eine Möglichkeit eröffnet werden, nach Versagen empfohlener
Therapieverfahren einen individuellen Therapieversuch zu unternehmen.
Sollte dieser erfolgreich sein, sollte die Gabe eines Cannabinoids in
Absprache mit dem Patienten unter Berücksichtigung seiner
Begleiterkrankungen, möglicher Kontraindikationen, der
Patientenpräferenzen und dem Wirkungs-Nebenwirkungsprofil der jeweiligen
Substanz erwogen werden, fordert die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V.
Die
Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. befürwortet daher im Einzelfall eine
Behandlung mit Cannabinoiden in Betracht zu ziehen, empfiehlt aber, die
Indikationskriterien weiterhin empirisch zu untermauern. Insbesondere
sieht es die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. als dringend notwendig
an, wie bei allen anderen schmerztherapeutischen Verfahren auch, ein
solches Therapieverfahren immer im Kontext einer multimodalen
Schmerztherapie und nicht als isoliertes Therapieverfahren anzuwenden.
Wenn in diesem Sinne eine medizinische Indikation besteht, sollte der
therapeutische Einsatz von Cannabinoiden und die Übernahme der Kosten
durch die Krankenkassen entsprechend der Initiative der
Bundesdrogenbeauftragen, Frau Marlene Mortler MdB, ermöglicht werden.
Die
Anwendung sollte durch eine obligate Erfassung und Analyse der
Effektivität und unerwünschter Wirkungen begleitet werden, hierfür
bietet das Schmerzregisterprojekt „KEDOQ“ der Deutschen
Schmerzgesellschaft e. V. ideale Voraussetzungen. Die Deutsche
Schmerzgesellschaft e. V. spricht sich weiterhin für die Durchführung
methodisch hochwertiger Studien zur medizinischen Anwendung von
Cannabinoiden in der Schmerzmedizin aus.
Unter
einer Therapie mit Cannabinoiden kann es zum Auftreten von gering
ausgeprägten zentralen Nebenwirkungen kommen, wie z. B. Übelkeit,
Müdigkeit, Schwindel, kognitive Beeinträchtigungen und
Stimmungsschwankungen. Die bisherigen Studien beziehen sich auf kurze
Behandlungszeiträume von wenigen Wochen bis Monaten, die besonderen
Risiken einer Langzeitbehandlung sind weitestgehend unklar.
Grundsätzlich ist aber für die Langzeiteinnahme und insbesondere bei
Jugendlichen von einem Abhängigkeitspotential auszugehen und es kann in
Einzelfällen zur Ausbildung von Angststörungen und Psychosen kommen.
Ein
Themenheft, das den aktuellen Wissensstand und klinische
Handlungsempfehlungen darstellt, wird Anfang 2016 in unserer
medizinischen Fachzeitschrift „Der Schmerz“ erscheinen.
Lesen
Sie ein ausführliches Interview mit dem Präsidenten der Deutschen
Schmerzgesellschaft e. V. in der heutigen Ausgabe der Ärztezeitung (vgl.
pdf-Anlage sowie ab dem morgigen Dienstag, 3. März 2015 frei zugänglich
unter www.aerztezeitung.de)